Was mir an dieser individuellen Erfahrung einer als unabänderlich hinzuneh- menden Einschränkung
durch den Verlust eines Körperteils bemerkenswert erscheint – oder was ich da hineinlege, ist die
Logik einer Psychodynamik zur kompensatorischen Bewältigung, einer Selbstaufwertung; so erscheint das Leben
danach als besonders kostbar, was es leichter macht, diesen Verlust zu akzeptieren. Ziehe ich eine Parallele
zwischen der Verlusterfahrung des Wanderers, für den die Notwendigkeit, sich von der Hand zu trennen,
zu einem Gewinn wird, und der Psychoanalyse-Erfahrung ohne einen glücklichen Ausgang – wohl nur
ein Wunder hätte bewirken können, dass ich in die Lage versetzt worden wäre, auch mit meinen
Einschränkungen ein "normales" Leben zu führen –, so sehe ich für mich einen Gewinn darin,
dass sie mir immerhin die Einsicht in die Notwendigkeit erleichtert hat, mich mit den Gegebenheiten abzufinden.
Zur Entstehung dieses Unternehmens: In einer Phase seelischer Entleerung, in der ich nach etwas Neuem suchte,
einem Mittel gegen das Gefühl der Nichtigkeit und des Unausgefülltseins, begann ich
Limericks – oder das, was ich dafür hielt; genau- genommen waren es Fünfzeiler, von denen der eine
oder der andere vielleicht die Kriterien eines Limericks erfüllte – zu verfassen, die ich in einem kleinen
Kreis zum Besten gab. Mit dem Vorschlag, ich könnte sie doch ins Netz stellen, hat mir dann ein Web-Designer
gewissermassen "den Floh ins Ohr" gesetzt, und dank seiner Unter- stützung konnte ich mir in relativ kurzer Zeit
das notwendige Handwerkszeug, das man zur Gestaltung einer Textseite wie dieser braucht, aneignen und eine Webseite
ins Netz stellen.
Mit diesem neuen Medium eröffnete sich die früher unvorstellbare Möglichkeit, eigene Texte an
Buchverlagen vorbei gewissermassen als sein eigener Verleger im Netz zu publizieren. Dann war es nur noch ein
kleiner Schritt bis zu der Idee, selbst einen Analysenbericht zu "veröffentlichen", indem ich ihn anonym,
als verborgenen Text, ins Netz stelle. Eine fixe Idee, vielleicht; doch
hilft mir dieses Konstrukt des Verborgenen Textes, das sehr genau meinem nicht freiwillig
gewählten Ideal, dem Lebe verborgen der Stoiker entspricht, um mich beim Schreiben
freier zu fühlen und mir nicht Gedanken darüber zu machen, wie mein Bericht von potentiellen Lesern
aufgenommen werden könnte.
Auch unter dieser Voraussetzung kostet es mich einige Überwindung, das hier in Angriff genommene Projekt
anzugehen, nämlich die Geschichte meiner beiden Psychoanalysen aufzuschreiben in der Absicht, sie ins Netz
zu stellen und damit – zumindest theoretisch – öffentlich zu machen. Denn es war eine meiner
Eigenschaften, wenig mitteilsam zu sein, was sich konkret in einer Scheu äusserte, etwas von dem, was in
meinem Innern vorging, preiszugeben; das umso mehr, da ich seit meiner Kindheit und Jugend, in der ich –
nicht nur zu Hause, sondern vier Jahre lang auch in der Schule – unter der Fuchtel des Lehrer/Vaters stand,
die Umwelt teilweise als bedrohlich und abweisend erlebte. Mein Hang, vor ihr auf der Hut zu sein, das Misstrauen,
mit dem ich glaubte mich gegen sie schützen zu müssen, resultierte in innerem Rückzug und in einer
Verschlossenheit, einer Abneigung, überhaupt viel zu reden (so bekam ich schon sehr früh zu hören,
dass ich "den Mund nicht aufbekomme") – Charakterzüge, die ich bei C.G.Jung als "introvertiert"
beschrieben fand –, weshalb ich als "gehemmt" galt.