Ich war, als mich im Alter um die dreissig noch die drängende existenzielle Frage beschäftigte, was ich
aus mir, aus meinem Leben, machen sollte, von dem starken Wunsch beherrscht, Psychoanalytiker zu werden. Abgeschreckt
durch die Aussicht auf ein unbefriedigendes Berufsleben als Physiker oder Ingenieur und mehr und mehr beherrscht von
dem Gedanken, die falsche Wahl getroffen zu haben, hatte ich mit Ende zwanzig mein Physik-Studium "geschmissen",
überzeugt, wenn ich in diese Richtung weiter ginge, meine wahre Erfüllung im Leben zu verfehlen. Sie
könnte ich, dieser Gedanke hatte sich in mir festgesetzt, nur in der Psychoanalyse finden: das Gebiet, dem
mein ganzes Interesse galt und mit dem ich mich so intensiv beschäftigte, müsste auch beruflich mein
Lebensinhalt werden.
Ich hatte zu der Zeit eine psychoanalytische Behandlung begonnen, wodurch ich neuen Auftrieb erhalten und sogar
den nötigen Mut zu dem Schritt aufgebracht hatte, von der Physik zur Psychologie zu wechseln. Allerdings war
meine Vorstellung deshalb wenig realistisch, weil zur damaligen Zeit für die Aufnahme an einem
Psychoanaly- tischen Institut in der Regel ein Medizinstudium vorausgesetzt wurde, eine Zulassung von Psychologen,
wenn ich mich recht entsinne, die Ausnahme war. Es stellte sich bald heraus, dass ich auch hier scheitern musste,
da eine Voraussetzung, nämlich meine Leistungsfähigkeit herzustellen, in der Analyse nicht erreicht war,
was sich nach kurzer Zeit in einem erneuten Motivations- und Antriebsverlust sowie in Desillusionierung niederschlug.
Heute, über vierzig Jahre später, habe ich zwar noch eine Erinnerung an jene Gedankenwelt, doch kann ich
die Unbedingtheit, mit der ich von ihr damals beherrscht wurde, die Intensität, mit der ich in dieser Wunschwelt
aufgegangen war und mit der ich mich durch Lektüre psychoanalytischer Literatur zu einem Experten – einem
Experten für mich selbst – machen wollte, nicht mehr nachvollziehen, sondern nur noch erahnen.
Inwiefern profitiere ich auch in dieser Lebensphase des Alterns noch von meiner Psychoanalyse-Erfahrung?
Zunächst muss ich realistischerweise feststellen, dass die beiden Psychoanalysen, die sich über einen
Zeitraum von mehr als 16 Jahren erstreckten, nicht den von mir – und von den beiden Analytikern –
erhofften Erfolg gebracht haben. Weder konnten sie mir wirklich Heilung bringen, noch konnte ich mit ihrer Hilfe
ein zufriedenstellendes Leben, in beruflicher ebensowenig wie in privater Hinsicht, das im Einklang mit meinen
inneren Ansprüchen bzw. Wünschen gestanden hätte, realisieren. So blieb mir als halber Erfolg
die Genugtuung, nach einem abge- brochenen Studium doch noch einen Universitätsabschluss erlangt zu haben,
was für mich, und zwar nicht nur für mein Selbstwertgefühl, sondern auch hinsichtlich meines
Rentenanspruchs von einiger Bedeutung war (und ist).