Ich hatte wieder eine Frau kennengelernt – ich war inzwischen 33, Sabine fünf oder sechs Jahre jünger, sie lebte, nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie, in einer betreuten Wohngemeinschaft. Ich war voller Vorbehalte, zweifelte, ob sie "die Richtige" war. D.A. legte mir nahe, dass ich, da es "die Richtige" für mich grundsätzlich nicht gab, diese Chance, die sich mir bot, ergreifen sollte, denn: "Sie müssen die Frauen richtig kennenlernen", womit er zum Ausdruck brachte, dass ich aus meinen bisherigen Bezie- hungen zu Partnerinnen, die über ein vordergründiges Einlassen auf sie nicht hinaus- gingen, überwiegend einseitige Erfahrungen mitgenommen hatte, die mich in meinem Ressentiment eher bestärkten.

    In der Phase der nun beginnenden Annäherung an S. nahm er auf mein Verhalten Einfluss und wirkte auf mich ein, damit ich es diesmal anders machte. Zwar "vergatterte" er mich nicht, doch legte er mir nahe, mich, was die Sexualität betraf, am Anfang zurückzuhalten und sie in den ersten vier Wochen zunächst aussen vor zu lassen.

    Ich besuchte S. regelmässig nach Feierabend, wir sassen zusammen, tranken Tee und redeten nur, hauptsächlich über sie und über das, was sie beschäftigte. Sie war unzufrieden mit ihrem Job als Sekretärin, also in einer ähnlichen Situation wie ich nicht allzu lange zuvor in meiner Zeit an der Klinik, und machte sich Gedanken, was sie sonst beruflich machen könnte. Sie gab den Job kurze Zeit darauf tatsächlich auf und begann eine Ausbildung zur Erzieherin. Sie fotografierte und betätigte sich künstlerisch, hatte, wohl vor ihrer Erkrankung, auch Ambitionen und hatte auf Leinwand gemalt (in ihrem Zimmer stand eine Staffelei mit einem unvollendeten Bild) und besuchte – es muss zu Beginn der durch einen Carmen-Film ausgelösten weiblichen Flamenco-Manie gewesen sein – einen Flamenco-Kurs, für den sie natürlich auch die entsprechende Ausstattung, den dazugehörigen Rock und die Castagnetten, besass. Da traf es sich gut, dass ich ihr einen mit dem Kassettenrecorder aufgenommenen Mitschnitt der Carmen-Oper von Bizet schenken konnte.

    Über ihren familiären Hintergrund erfuhr ich, dass ihre Mutter vor einiger Zeit an einer schweren Krankheit früh verstorben war, dass sie noch in losem Kontakt zu ihrem Vater stand und einen älteren Bruder hatte. Der Tod ihrer Mutter war vermutlich der Auslöser für ihre psychische Krise gewesen. Lange Zeit später hat sie mir ein Buch mit dem Titel Grenzfall-Kinder geschenkt. Zwar kann ich micht mehr daran erinnern, dass wir über psychiatrische Themen, so im Zusammenhang mit ihrer Diagnose, gesprochen haben – abgesehen davon, dass ich mir von ihr Träume erzählen liess –, offensichtlich hat sie sich aber damit befasst. Mit dem Buch über die Borderline-Störung wollte sie mir vermutlich einen Hinweis darauf geben, was sie als die tiefere Ursache ihrer Erkrankung ansah.