In dieser ersten Phase unserer Beziehung, die etwa ein halbes Jahr dauerte, kam es immer wieder zu Spannungen und Entfremdungen. Für S. schien es mehr ein Spiel zu sein, auf das sie sich zeitweise, je nach Laune, einliess. Es kam vor, dass ihr, wenn ich abends zu ihr kam, mein Kommen völlig gleichgültig zu sein schien, dass sie mich nicht beachtete, die Tür zu ihrem Zimmer verschlossen hielt und mich eine halbe Stunde warten liess, bevor sie mich hineinliess. Ich erinnere mich an einen Traum von ihr: sie ist, glaube ich, im Badezimmer, da erscheint ein merkwürdiges, koboldartiges Wesen vor oder hinter der Tür, will hinein oder schneidet bloss Grimassen. Ein Traum, der ihr Bemühen erkennen liess, unsere Beziehung nicht ernst zu nehmen, mich zu einer komischen Figur zu machen, wohinter sich zweifellos eine Angst vor etwas Bedroh- lichem verbarg, die sie durch Lächerlichmachen zu bannen sucht.

    Als ich wieder einmal mit einem zwiespältigen Gefühl der Ungewissheit, welchen Empfang sie mir diesmal bereiten würde, zu ihr fuhr, war sie unerwartet gelöst und aufgeschlossen, und unsere Kommunikation war locker und frei von Spannung. Sie berichtete mir, dass sie, als sie in der Küche, glaube ich, irgendwelche Hausarbeiten verrichtete, plötzlich ganz intensiv eine Vorstellung von mir vor Augen hatte. Ich berichtete es in der nächsten Analysestunde, und D.A. entgegnete darauf: "Sie haben zum erstenmal erlebt, wie eine Frau sich ein Bild von Ihnen gemacht hat."

    S. fand, als ich ihr einmal die Erzählung von de la Motte-Fouqué zu lesen gab, Gefallen an der Märchenfigur der Undine. Mit dieser glitschigen, ungreifbaren Meerjungfrau, die nur eine begrenzte Bindung eingehen kann und die sich schliesslich ganz entzieht, schien sie sich teilweise zu identifizieren. Ich erinnere mich an ein Bild von ihr, das sie, angeregt durch die Undine, gemalt hat: es zeigte eine in grünlichem Wasser schwimmende Meerjungfrau mit einem Fisch-Schwanz. Für D.A. gehörte sie nach der Beschreibung, die ich von ihr gab, zu dem Typ von Frauen, die er als Nymphen bezeichnete.

    Auf einem anderen, mit Farbstiften gezeichneten Bild gab sie, ungefähr nach einem halben Jahr, bildlich-symbolisch dargestellt ihre Sicht unserer Beziehung wieder: Ein Paar, der Mann etwas grösser als die Frau, Hand in Hand und mit den Rücken zum Betrachter in einiger Entfernung auf einem Weg gehend, der zum Horizont hin verläuft und der mit Bäumen gesäumt ist, die herbstlich oder winterlich kahl sind, nur an einem Baum hängt noch ein einzelnes übriggebliebenes Blatt. Mit ihrem Mal-Talent teilte sie mir recht theatralisch mit, dass das beglückende, erhebende Gefühl der Anfangszeit – es war wohl eher narzisstische Bestätigung, begehrt zu werden, die den Zustand der Verliebtheit ausmacht – verflogen war und eine Desillusionierung eingetreten war. Andererseits war ja noch das eine Blatt übrig geblieben, das signalisierte, dass es vielleicht noch nicht das Ende bedeutete, sondern dass es noch Hoffnung gab.