Ein typisches Beispiel: In einem Jahr bekam mein Bruder Rollschuhe geschenkt; ich bekam – von den Eltern wohl als gleichwertiges Geschenk gedacht, wobei ich mir nicht sicher bin, dass es in demselben Jahr war – Schlittschuhe. Leider war die Möglichkeit zum Schlittschuhlaufen zeitlich sehr begrenzt, nämlich nur für einen kurzen Zeitraum, wenn im Winter ein in der Nähe gelegener Teich zugefroren war. Es waren Schlittschuhe, gebrauchte, wenn ich mich recht entsinne, von der damals gängigen Machart, d.h. sie wurden mit Backen an den Schuhen befestigt und konnten sich beim Laufen lösen; auch litten die Schuhe durch die Belastung. Es war also ein sehr begrenzter Spass, hingegen ein Anlass zu – möglichem, jedoch nicht empfundenem – Neid, da ich mich, wenn ich meinen Bruder zu jeder Jahreszeit rollschuhlaufen sah, darüber erhaben gefühlt haben dürfte.

  Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich diese Zwiespältigkeit, mit der ich das hier Geschilderte mit heutigen Augen sehe, oder auch einen Groll, damals so empfunden habe (die Tatsache, dass die Erinnerung an einige Einzelheiten noch so präsent ist, spricht dafür); eher habe ich es wohl mit dem Gefühl dumpfer Ergebenheit hingenommen, dass es eben war wie es war – was es bedeutete, dem Willen und der Willkür der Eltern ausgeliefert zu sein.

    Mehrere Male musste ich Kleidungsstücke – ich bin mir nicht sicher, ob es sich um Weinachtsgeschenke gehandelt hatte –, nach einiger Zeit wieder hergeben, weil mein Bruder sie tragen sollte, obwohl sie mir noch passten und ich mich darin wohl- gefühlt hatte. Vor allem ein marineblauer Bleyle-Anzug, im Schnitt einer Flieger-Uniform (anscheinend denen der ehemaligen Luftwaffe oder denen der "Amis" oder der "Tommies" nachempfunden) ist mir in zwiespältiger Erinnerung, sowie der Groll, da ich ihn – ich war etwa neun – nur kurze Zeit, bis ich ihn an meinen Bruder abgeben musste, tragen durfte. Stattdessen wurde von den Eltern, wobei, wie meistens bei der Beklei- dung, die Mutter tonangebend war, verfügt, dass ich wieder in den verhassten langen Strümpfen gehen sollte.

    Eine ähnliche Erfahrung wiederholte sich ein paar Jahre später mit einer Lederhose, als ich eine solche, die mir wie angegossen passte, an den Bruder abgeben musste und ich dafür eine neue, aber viel zu grosse (unter der Regie der Mutter, "damit ich hineinwachse") gekauft bekam, wegen der ich dann in der Schule gehänselt wurde. Ich denke, solche zwiespältige Erfahrungen des Beschenktwerdens untergruben nach- haltig meine Fähigkeit zur Dankbarkeit, zu der ich mich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr verpflichtet fühlte. Was die ungeliebten, und mir unangenehmen Kleidungs- stücke am Leibe anging, so kam noch ein gestörtes Verhältnis zu meinem Körper hinzu, ein Gefühl der Ohnmacht, resultierend daraus, dass er nicht mir gehörte, sondern dass über ihn verfügt wurde.