Ich kann noch angeben, welche Werke ich damals – es muss in den Achtziger Jahren, der Zeit meiner
"Freisetzung", d.h. nach meiner Tätigkeit am Institut, gewesen sein – mit einem billigen
Kassettenrecorder vom Radio aufgenommen habe (die Musik-Kassetten habe ich vor einigen Jahren bei einer Spurensuche in aufbewahrtem altem Kram hervorgeholt und davon einiges, trotz mässiger
Tonqualität, digitalisiert und auf Festplatten gespeichert): neben Beethoven – Klaviersonaten
(über die letzte, Op.111 mit dem Arietta-Thema im zweiten Satz, darüber, weshalb
danach kein dritter Satz folgen konnte, hat sich Th.Mann im Doktor Faustus ausgiebig
ausgelassen), die Diabelli- Variationen, die schon genannten Streichquartette – vor allem J.S.Bach:
Cello-Suiten, das Wohltemperierte Klavier und die Goldberg-Variationen (gespielt von Glenn
Gould) sowie Die Kunst der Fuge, gespielt von der russischen Pianistin Tatjana Nikolajewa,
die ich auch einmal in einem Konzert in der Philharmonie erlebt habe.
[Wie ich heute, viele Jahre später, es ist das Corona-Krisen-Jahr, feststelle, werden einige meiner damaligen
"Favoriten" – Beethovens Klaviersonaten in einer Neuein- spielung durch Igor Lewitt, die Diabelli- ebenso wie
die Goldberg-Variationen, nur die Kunst der Fuge und das Musikalische Opfer
von J.S.Bach stehen noch aus – von einer neuen Generation gewissermassen wiederentdeckt.]
Alte Brüche: ihre Wiederkehr und ein Versuch, sie zu erfassen? Es handelt sich eher um etwas,
das nicht zu fassen ist, jedenfalls nicht wirklich, höchstens imaginär mit der Vorstellungskraft. Ich
habe jedenfalls keine konkrete Erinnerung, was den Ursprung dieser besonderen Empfänglichkeit für Musik,
etwa in der Kindheit, angeht. Ziemlich sicher bin ich mir, dass es etwas mit meiner Mutterbindung zu tun hat. Da
ist eigentlich nur eine Gelegenheit, bei der ich die Mutter direkt mit Musik in Zusammenhang bringe, und das ist
Weihnachten: das Singen von Weihnachtsliedern "unterm Weihnachtsbaum" bei der Bescherung am
Heiligabend, von der Mutter offensichtlich mit besonderer Hingabe, vermutlich angereichert mit eigenen Erinnerungen
an frühere Weihnachten in der Alten Heimat, an ihre eigene Kindheit wohl auch,
betrieben, um nicht zu sagen: zelebriert. Von den allseits bekannten Liedern will ich nur
eines nennen, das mir – abgesehen von den zwei oder drei, die einem als erste einfallen – in
Verbindung mit ihrer Stimme besonders in Erinnerung geblieben ist: Es ist ein Ros' entsprungen.
Bei meinem Studienfreund hörte ich, das war Mitte der Sechziger Jahre, nach gemeinsamem Brüten über
Mathe- und Physik-Übungsaufgaben die Violinkonzerte von Bach oder auch das G-Dur-Konzert von Mozart, jeweils
von kleinen Mono-Schall- platten, wobei letztere, wenn ich mich recht erinnere, in der Mitte des 2.Satzes gewen- det
werden musste. Zu Mozart hatte ich (obwohl eine der ersten eigenen Schallplatten, die ich auf einem Koffergerät
abspielte, die Kleine Nachtmusik war) lange Zeit keine besondere Beziehung. Vor allem machte ich
um jegliche Musik, in der Gesang vorkam, um Opern, Kantaten usw. einen Bogen, und folglich auch um die Opern Mozarts.
Für sie konnte ich mich erst viele Jahre später erwärmen; ich habe später, als ich die
Möglichkeit hatte, mit einem CD-Recorder Aufnahmen zu machen, die "grossen" Mozart-Opern ebenso wie einige
von Händel und Kantaten von J.S.Bach mitgeschnitten.