Ein weiterer Traum scheint meinen inneren Zustand, den partiellen Realitätsverlust und das Abheben in Phantasiewelten, bildhaft darzustellen. Ausserdem war er vielleicht der erste von einer ganzen Reihe von Träumen, die von Flugobjekten handelten, die ich, in der Regel vom Boden aus, am Himmel beobachte.

  Der Traum: er zeigt mich beim Drachen-steigen-lassen, der "Drachen" ist aber eigentlich ein Luftschiff, d.h. das Modell eines Segelschiffs, vielleicht einen halben Meter lang, mit einem leuchtend weissen Segel. Es schwebt, buchstäblich "hochfliegend", "in den Wolken", bzw ähnelt selbst einer Wolke, bekommt Auftrieb durch einen frischen Wind. Dann die Farbe: weiss, unbe- schrieben; mir scheint es plausibel, dass er vor der Zeit mit L., ich also noch "jungfräulich" war, geträumt wurde. Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass ich mich auf dem Boden befinde, also nicht ganz und gar abgehoben, und dass ich das luftige Gebilde da oben an einer Schnur halte.

    Bezogen auf die Analyse – die Farbe Weiss konnte auch als ein Bezug zur Analyti- kerin gesehen werden, die in der Anfangszeit ihren weissen Arztkittel trug – liesse sich die Traumszene so deuten, dass ich in der analytischen Situation eine – wenn auch schwache – Bindung zur Analytikerin hergestellt hatte. Darüber hinaus verbinde ich in meiner Erinnerung mit dem Drachen-steigen-lassen immer ein Vorkommnis in meiner Jugend – ich muss etwa vierzehn gewesen sein –, als einer meiner selbstgebauten Drachen (es war am Rande der Kleinstadt W., in der ich aufgewachsen bin) sich losgerissen hat und fast einen halben Kilometer weit abgetrieben wurde.

    Nach diesen "Anfangserfolgen" trat, wie zu erwarten war, eine Ernüchterung ein, sowohl im Beziehungsleben, als auch nach und nach in der Analyse. In der Beziehung zu L. trat immer mehr der Charakter dieser Beziehung als ein Zweckbündnis zu Tage: ich meinerseits brauchte sie, nachdem ich mit ihr die Überwindung der bis dahin unüberwindlich scheinenden Schwelle zum ersten Sexualverkehr geschafft hatte, im Augenblick immer noch, obwohl sie meinen geheimen Ansprüchen an eine Frau, "mit der ich mich sehen lassen konnte", nicht genügte und ich argwöhnisch registrierte, welchen Eindruck sie auf andere machte. Ich bezog sie in mein Selbst-Bild ein, so wie meine Mutter uns Kinder narzisstisch vereinnahmt hatte: "Man muss sich euretwegen ja schämen!"

    Eine Episode enthüllt mein ambivalentes Verhältnis zu ihr, das nicht frei war von einer Lust, sie zu quälen und sie bis zur Unerträglichkeit zu irritieren: ich ging im Verlauf eines Abends dazu über, anstatt menschlich mit ihr zu sprechen, nur noch tierische Laute von mir zu geben und wie ein Schwein zu grunzen. Das mag am Anfang noch als ein übermütiger Spass gemeint gewesen sein, als sie aber zu erkennen gab, dass sie es nicht besonders lustig fand und ich damit aufhören sollte, regte sich in mir ein Trotz, eine Gegenmacht, die mich zwang, weiterzumachen, um zu zeigen, dass ich nicht bereit war, so schnell aufzugeben. Aus dem, was spielerisch begonnen hatte, war Ernst geworden: ich konnte nicht nachgeben, sondern musste es so weit treiben, bis ich L. fast zum Weinen brachte. Wie es ausging, ob ich noch vor dem Schlafengehen da herausfand, oder ob wir einfach zu Bett gingen, weiss ich nicht mehr. Wenn es eine Absicht von mir war, L. in einem Zustand der Ohnmacht und Hilflosigkeit zu versetzen, dann hatte ich es geschafft.