Für L. war die gemeinsame Zeit bei mir zeitlich begrenzt, eine Art Auslands- erfahrung, um ihr Deutsch zu verbessern; es war klar, dass sie zurück nach Frankreich gehen würde. Meine Einstellung war paradox, aber ich konnte wohl nicht anders: ich warf ihr innerlich vor, dass ich von ihr abhängig war, auch durfte sie lange Zeit nicht wissen, dass sie die erste Frau war, mit der ich Sex hatte. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir darüber und ob es vor ihr in meinem Leben Frauen gegeben hat, nie gesprochen.

    Die Beziehung zu L. war ebenfalls durch die Psychoanalyse geprägt. Ich spielte Analytiker, liess mir von ihr die Träume erzählen, wir lasen psychoanalytische Literatur wie Die Psychologie der Frau von Helene Deutsch.

  Darin behandelte die Autorin auch die Freud'sche Hypothese vom Penisneid, der später in einen Kinderwunsch umgewandelt wird, und L. erinnerte sich noch, einen solchen gehabt zu haben, und dass sie mit vier oder fünf von ihrer Mutter verlangt hat: Maman, je veux aussi avoir un Pipi (d.h. wie ihr jüngerer Bruder). Als bei einem Besuch ihrer Freundin mit ihrem Kleinkind auch bei ihr der Wunsch nach einem Kind aufkam, war klar, dass ich nicht der Mann war, mit dem sie dies würde realisieren können.

    Meine hauptsächliche Beschäftigung bestand, da ich nicht mehr arbeitete, im Lesen und Gitarrespielen. Meine Lektüre war soetwas wie ein Motto für meine Situation: Das Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch. Dabei machte ich Auszüge in ein Heft. Eine Perspektive hatte ich wohl nicht, es war mehr ein Warten darauf, dass sich eine durch Fortschritte in der Analyse ergeben würde. Meine chronische Bronchitis suchte mich auch in diesem Frühjahr (es war das letzte Jahr in dieser Wohnung) heim; es war das vertraute Somatisieren, das mich auch ein paar Jahre zuvor aus der Bahn geworfen hatte, als ich ein mehrwöchiges Praktikum bei Siemens in München, das soetwas wie ein "Hineinschnuppern" in eine mögliche spätere Berufspraxis als Physiker darstellte, durch eine Erkältung demoralisiert vorzeitig abbrach.

    Ich hatte mich, wie schon erwähnt, bereits früher ausgiebig mit Freud und der Psychoanalyse beschäftigt, hatte natürlich auch die Traumdeutung gelesen und, als während der Studentenbewegung an den Bücherständen vor den Universitäten Raub- drucke von Literatur der Zwanziger Jahre angeboten wurden, auch die Werke von Wilhelm Reich: Die Funktion des Orgasmus und die Charakteranalyse. Da L. nicht zu einem Orgasmus kam, stand unser Sexualleben unter einem gewissen Erfolgsdruck. Die Empfängnisverhütungspille war gerade eingeführt worden, und so waren wir von einer Belastung befreit: von der Angst vor einer Schwangerschaft. Nachdem ich meinem damaligen Arzt unsere Situation dargelegt hatte, konnte L. sich in seiner Praxis Probepackungen für den Bedarf von drei Monaten abholen.