Meine Methode des Verschweigens erfuhr eine Zuspitzung, als ich mir nach der Abreise von L. in einem krisenhaften Abgleiten in ein Gefühl von Sinnlosigkeit und einem Zustand der Verzweiflung einen wenig mehr als einen Zentimeter langen Schnitt am Handgelenk beibrachte, quer zur Pulsader war er harmlos und sicherlich kein ernsthafter Suizidversuch, der sich durch ein kleines unscheinbar wirkendes Pflaster leicht verbergen liess. Der Grund dafür, dieses Vorkommnis nicht zur Sprache zu bringen, war wohl hauptsächlich die Angst vor möglichen Konsequenzen für den Fortgang der Analyse, etwa dass F.R. mich als suizidgefährdet einstufen könnte.

    Dieser innere Konflikt des Verschweigens wirkte sich gravierend für den weiteren Verlauf der Analyse aus. Der Zwiespalt, den ich oben dargelegt habe, stellte sich mir als ein Aspekt eines insgeheim stattfindenden Machtkampfes dar, der unter anderem in dem folgenden Traum, einem intensiven Angsttraum, deutlich zum Ausdruck kam:

  Ich befinde mich in einer einsamen Waldhütte, einer Art Blockhaus. Ich höre draussen einen Bären näherkommen. Er ist anscheinend von seinen Jungen begleitet, es handelt sich demnach um eine Bärin. Dann ist sie an der Hütte und will in sie eindringen, ich höre sie hinter der Tür, sie versucht mit aller Kraft, die Tür, die sich nach aussen öffnet, aufzureissen. Ich sehe von ihr nur die Krallen, die in den Türspalt eindringen. Ich versuche mit meinen Kräften, die Tür geschlossen zu halten und blicke voller Angst vor allem auf die spitzen, scharfen Krallen. Bevor die Bärin es jedoch schafft, die Tür zu öffnen, wache ich auf.

    Ich erlebe – in der Übertragung – die Analyse als eine Bedrohung für mein Innerstes, für etwas, das ich unter keinen Umständen preisgeben möchte, wobei aber genau betrachtet der Besitz, den ich mit aller Kraft, "mit Bärenkräften" – sie stehen auch für einen Aspekt meiner eigenen Psyche – verteidige, Leere ist, nämlich Nichts, und die Analytikerin als Verfolgerin, von der die Bedrohung ausgeht. Mein späterer Analytiker D.A. hat dafür einmal das Bild von einer Orange gebraucht, deren Schale in Streifen geschnitten ist, die sich vom Fruchtfleisch weg nach unten biegen und eine Leere umschliessen. Es sind potentielle Kräfte, die ich nur nicht nutzbringend einsetzen kann, die ich vielmehr gegen mich selbst wende, um mich nieder-, d.h. in der Selbst-Entmachtung zu halten (wie D.A. es später ausdrückte: "Sie knüppeln sich selber nieder").

    Weitere Tier-Träume – Träume, in denen Tiere vorkamen: in einem wurde ich von einem Schäferhund beobachtet, der darauf zu lauern schien, dass ich ein Verbot übertreten würde; es war wiederum der Übertragungs-Blick der Analytikerin/Mutter, der meine Lebensäusserungen vollständig zu kontrollieren schien: ich fühlte mich umstellt von Verbotslinien; auch von einer solchen auf den Boden gemalten Linie, die nicht überschritten werden durfte, handelte einmal ein Traum, ebenso von einer Ampel – ich assoziiere hierzu eine dieser altertümlichen, über der Kreuzung hängenden Ampeln, die mir von meinem früheren Wohnort W. vertraut sind, mit einem Zeiger, der sich über rote und grüne Felder bewegte, und der anzeigte, wann man stehenbleiben musste und wann man gehen bzw. fahren durfte: Ausdruck für ein (nach Freud) übermässig strenges Über-Ich, von dem mein Leben reguliert bzw. reglementiert wurde.