Die Beziehung mit L. setzte sich noch mit kürzeren Zusammenkünften, mal bei mir, mal bei ihr in Lille, bis
in das darauffolgende Jahr fort. Beflügelt durch die von der Analyse ausgehenden Dynamik wagte ich eine
Veränderung in meinen Lebens- verhältnissen: ich zog in eine Wohngemeinschaft ein, die mein früherer
Studienfreund G. – wir hatten gemeinsam Mathematik und Physik gebüffelt – in einer grossen
Fünf-Zimmer-Wohnung gegründet hatte. Ich fand Anschluss an eine Gruppe, die im Auftrag eines Verlegers
politischer Literatur ein damals aktuelles Buch über die Ökonomie des maoistischen China aus dem
Französischen übersetzen sollte. Diese Tätigkeit, für die es auch ein Honorar gab, ein
paar hundert D-Mark, füllte mich die nächsten Wochen und Monate aus, und als im Sommer L. noch einmal
für zwei Monate nach B. kam, betrieben wir die Übersetzungsarbeit gemeinsam.
Nachdem sie mir vor ihrem letzten Besuch eröffnet hatte, dass sie heiraten werde, bat ich sie, alle meine
Briefe mitzubringen. Ich bestand darauf, unsere Briefe gemeinsam zu verbrennen, was wir dann auf dem Balkon
taten. Ich denke, abgesehen von meiner Ängstlichkeit, mit der ich darauf bedacht war, alles, was mich betraf,
geheimzuhalten bzw. zu kontrollieren, was damit geschah, war es auch mein Ressentiment: ich gönnte ihr nicht,
dass sie etwas von mir behielt. Was sie jedoch mitnahm: bei unserem letzten sexuellen Verkehr hatte sie ihren
ersten Orgasmus. Es schmeichelte vielleicht meiner Eitelkeit, wurde jedoch von der bevorstehenden endgültigen
Trennung überdeckt.
In den darauffolgenden zwei Analysejahren hatte ich noch einige wenige sexuelle Beziehungen bzw. Kontakte, die
sich bezeichnenderweise eher bei Urlaubsreisen, mal in Südfrankreich, mal in Portugal, ergaben, als in
der gewohnten Umgebung zu Hause. Wie schon erwähnt, hatte ich es mir zu meiner Philosophie – einer Art
von Don-Juanismus – gemacht, nach der ich mir vornahm, Beziehungen mit Frauen jeweils nur
für eine begrenzte Zeit einzugehen und mich rechtzeitig wieder von ihnen zu trennen; so beendete ich einmal
mutwillig eine Beziehung, indem ich meine jährliche Fahrt in den Süden (Frankreich, Spanien, Marokko)
antrat. Auf diese Weise wollte ich dem Verlassenwerden selbst zuvorkommen und mich dagegen gewissermassen
immunisieren.
Bevor ich mich dem Toten Punkt der Analyse nähere, als sich abzeichnete, dass keine Fortschritte mehr zu
erkennen waren, insbesondere weil keine realistische Zukunftsperspektive für mich in Sicht war, will ich
noch versuchen, einige Träume zusammenzutragen, die durch meine Erinnerungsarbeit wieder zutage
gefördert worden sind; allerdings bin ich mir bei einigen nicht sicher, wie sie zeitlich einzuordnen sind,
infolgedessen auch nicht, ob sie noch in die Zeit der Analyse fallen und ob sie besprochen worden sind.