Ich befand mich in einer Konkurrenz mit IHM: er konnte all das, was ich auch gern gekonnt hätte,
angefangen von der bereits angesprochenen Beziehung zu Frauen. Wohl um mich zu neuen Kontakten zu ermutigen,
machte er hin und wieder Mitteilungen über eigene sexuelle Erfahrungen; später, nachdem er und
seine Frau sich getrennt hatten, auch von seiner Partnersuche – was uns, da in ähnlicher Situation,
zeitweise scheinbar auf die gleiche Stufe stellte –; ich erfuhr Einzelheiten über seine Beziehung zu
einer neuen Freundin und darüber, dass er noch gegen Ende der Analyse eine neue, dauerhafte Partnerschaft
eingegangen war. Der Unterschied zwischen uns war in meinen Augen offensichtlich: ich hatte, bedingt durch
meine Einschränkungen, nur wenige Versuche, im Gegensatz zu ihm, der etwas unternahm, Chancen suchte, sei
es bei einem Zirkusbesuch mit seinen Kindern, von dem er mir berichtete, oder bei einem wenn auch erfolglosen
Verführungsversuch am Strand bei einem Urlaub im Süden. Ich bringe diese Einzelheiten deshalb, weil
seine Offenheit dazu beitrug, mein Vertrauen in ihn, in seine Glaubwürdigkeit, da er wusste, wovon er
sprach, angesichts seiner Erfah- rung auch auf dem Gebiet zu stärken.
Ein weiterer Stachel: Vor seinem Haus stand sein Wohnmobil, ich versuchte ebenfalls, mir ein
vergleichbares Fahrzeug, einen gebrauchten Kleintransporter, zu kaufen, unternahm auch einmal eine Probefahrt
mit einem Ford-Transit. Natürlich kam es zu keinem Kauf, die Sache war "zu gross für mich". Später,
d.h. in den zwei oder drei darauffolgenden Jahren, hatte ich zweimal einen Wagen, Gebrauchtwagen mit einer
Zulassung von jeweils wenig länger als einem Jahr, einen VW Käfer und einen Variant, die ich nach
Ablaufen des TÜV verschrotten musste; es waren die ersten und letzten
Wagen in meinem Leben.
Auf einem anderen Gebiet befand ich mich ebenfalls in Konkurrenz zu ihm: ich versuchte mich im Verfassen
von Aufsätzen, von Essays über Literatur. Angeregt wurde ich durch psychoanalytische Studien
verschiedener Autoren, die in Sammelbänden – so u.a. in dem von A.Mitscherlich herausgegebenen
Band Psycho-Pathographien, Schriftsteller und Psychoanalyse – enthalten waren. Es
war die Zeit, in der ich mich noch intensiv, mit einer Besessenheit, die auf die Abiturzeit zurückging,
mit Kafka beschäftigte und mich an Essays versuchte, so über die Erzählung
Das Urteil, in der ich glaubte, Spuren früher Kindheitserfahrungen, nämlich des
Todes zweier jüngerer Brüder, zu erkennen, von denen der eine wie die Hauptfigur
Georg hiess.
Meine literarischen – besser: essayistischen, auf das Objekt Kafka fixierten – Ambitionen hielten noch bis in die späten Analyse-Jahre an, denn es war im Kafka-Jahr 1983 (einhundertster Geburtstag), als ich einem Drang nachgab, mich öffentlich zu Wort zu melden, und an eine Zeitung, die einen Beitrag über ihn gebracht hatte, einen Leserbrief schrieb, der auch abgedruckt wurde.
"Haben Sie wieder etwas unter sich gelassen?" war gewöhnlich D.A.s Kommentar, wenn ich ihm von einem Schreib-Produkt berichtete. Zu dem Leserbrief, den ich ihm zu lesen gab, bemerkte er etwa: etwas holprig, mit heisser Nadel gestrickt!