Was D.A. betraf, so suchte er die Öffentlichkeit; bei einer Gelegenheit führte er mit einem
Rundfunk-Reporter ein Gespräch über seine Klinik-Tätigkeit, seine Arbeit mit psychisch Kranken,
mit denen er auch Gruppen-Sitzungen durchführte; der Beitrag wurde dann – zu später Stunde, wenn
ich mich recht erinnere – gesendet. Er hatte viel mit Suizid-gefährdeten Patienten zu tun; er
erwähnte einmal, wieviele Suizid-Patienten er im Laufe seiner ärztlichen Tätigkeit schon
"gesehen" habe.
Ein Problem, das sich in jedem Jahr wiederholte, war die Urlaubsplanung; wenn D.A. mir ankündigte,
wann und wie lange er Urlaub machen würde, musste ich meine Reise für diesen Zeitraum planen. Es muss
in diesem ersten Jahr gewesen sein, als ich mich sehr spät im Herbst, gegen Ende Oktober bis in den
November – ich meine mich an die Feiertage zu Allerheiligen zu erinnern – auf Elba einquartiert
hatte, während D.A. zu einem Urlaub nach Israel geflogen war. Durch jedes Flugzeug, das über mich
hinweg flog, wurde ich daran erinnert.
In meiner Phantasie fühlte ich mich wohl ebenso im Exil wie Napoleon; vermutlich spielte dieser Gedanke
dabei eine Rolle, dass ich dieses Urlaubsziel gewählt hatte. Ich war in einer trüben Stimmung, die durch
die Stimmung auf der Insel – die Urlaubssaison war vorüber, nur zu den Feiertagen belebte es sich ein
wenig – verstärkt wurde, und mein Grundgefühl war, nachdem die Sommer-Urlauber wieder weg waren,
zu spät, als "nichts mehr los" war, zu kommen und das Beste verpasst zu haben. Meine getrübte Sicht auf
die Zukunft, die vor mir lag, schien sich sogar auf meine Sehkraft nieder- zuschlagen, denn ich stellte fest, dass
ich Dinge in grösserer Entfernung nur unscharf erkennen konnte (ich bin leicht kurzsichtig und trage eine Brille).
Deshalb machte ich bei Spaziergängen Sehübungen, indem ich durch Fixieren auf entfernte Objekte versuchte,
den Blick mit einer Art Augen-Yoga zu entspannen.
Zu besichtigen gab es ausser der Villa Napoleone auch noch einen Monte
Calamità, zu dem ich bis in die in Nebel gehüllte Region hoch stieg. Ansonsten vertrieb ich mir die
Zeit damit, die Umgebung zu erkunden und einmal mit dem Bus auf der Küstenstrasse um die eine Hälfte
Insel herum zu fahren, und mit Lesen: ich hatte immer ein Reclam-Bändchen, die Madame Bovary,
bei mir.
Von einer Rundreise auf Korsika ist mir besonders in Erinnerung, dass ich fast obsessiv von dem Gedanken
besessen war, Ähnliches erleben zu wollen wie das, was D.A. über Erfahrungen u.a. in Italien, wo er sich
in jüngeren Jahren für längere Zeit aufgehalten hatte, einfliessen liess. Was genau ich dabei im Sinn
hatte – mit Einheimischen in näheren Kontakt zu kommen; natürlich klappte es bei mir nicht: Er hätte es anders gemacht.
Eine Anekdote: Auf Korsika geriet ich – es war die Zeit der Anschläge durch die RAF und nach Mitgliedern, die sich auf der Flucht befanden, wurde auch in Frankreich gefahndet – in eine Polizeikontrolle, als ich mit meiner Reisetasche die Strasse entlang lief. Zur Überprüfung, ob ich als Gesuchter auf einer Fahndungsliste stand, wurden meine Personalien nach Paris durchgegeben!