Natürlich war mein Anspruch an mich selbst noch vorhanden, er äusserte sich in kompensatorischen
Aktivitäten wie meiner Beschäftigung mit der Psychoanalyse: ich vertiefte mich in ihre Geschichte,
sog die Gruppenbilder von den Psychoanalytischen Kongressen in mich auf, las Biografien, die über Freud
von Ernest Jones und Peter Gay, die Briefwechsel Freud-Fliess und Freud-Jung, Werke anderer psychoanalytischer
Autoren ebenso wie Abhandlungen, die einen Bezug zu Freud bzw. zur Psychoanalyse haben (u.a. Schrebers Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken und die von M.Gardiner veröffentlichten Erinnerungen
des "Wolfsmannes"), von Karl Abraham, W.Reich, Th.Reik, G.Groddeck (Briefe
über das Es), Lou Andreas-Salome.
Weitere Namen von Autoren, mit denen ich mich im Laufe meiner Beschäftigung mit psychoanalytschen
Themen auseinandergesetzt habe, sind u.a.: O.Rank, S.Ferenczi (dessen These von der "Identifizierung
mit dem Agressor" in der Analyse eine Rolle spielte), Anna Freud ("Das Ich und die Abwehrmechanismen"),
Melanie Klein ("Neid und Dankbarkeit"), Balint, Grunberger, Chasseguet-Smirgel (die mir vor
allem durch eine psychoanalytische Interpretation des Films Letztes Jahr in Marienbad in
Erinnerung geblieben ist), Winnicott (mit seinen Thesen zum "Übergangsobjekt") und
O.Kernberg, weiter A.Mitscherlich, H.E.Richter, Alice Miller, P.Dettmering, E.H.Erikson (mit seiner
Entwicklungspsychologie sowie seiner Luther-Studie), Parin, Morgenthaler und Matthei (mit ihren
ethnopsychoanalytischen Studien), sowie K.R.Eissler (durch seine umfangreiche Goethe-Studie).
Ein besonderes Interesse entwickelte ich für den "Wolfsmann", Freuds berühm- testen Patienten,
dessen späteres Schicksal, sein Leben in Wien, wohin es ihn nach der Revolution in Russland als Emigrant
sicherlich nicht zufällig verschlagen hatte – er war an den Ort zurückgekehrt, an dem er vor
dem ersten Weltkrieg bei Freud in Analyse gewesen war –, von M.Gardiner und K.Obholzer öffentlich
gemacht worden ist.
Es war, wenn ich mich richtig erinnere, die Falldarstellung des "Wolfsmannes" Aus der Geschichte einer infantilen Neurose, in der Freud den Ausdruck "Durchbruch zum Weibe" verwendet hat; was man dann in den Berichten über das weitere Leben des "Wolfsmannes" in Wien erfährt, ist doch ziemlich desillusionierend: dass neue Symptome seiner Neurose auftraten, woraufhin er sich erneut in Analyse, diesmal nicht mehr bei Freud, begeben musste, dass er seine Bindung an Freud nie lösen konnte, ihm sogar in sein Exil nach London nachgereist ist. Übrigens kann man wohl sein Selbst- verständnis, Teil der Psychoanalytischen Bewegung zu sein, also "dazuzu- gehören" (so verhalf ihm sicherlich sein besonderer Status auch zu seinen Beziehungen zu Mitgliedern der Psychoanalytischen Bewegung wie Marie Bonaparte, von denen einige ein von ihm gemaltes Bild erworben und in ihrem Behandlungszimmer aufgehängt hatten), als ein Ausleben eines Grandiosen Selbsts verstehen.