Dann seine fassungslose Reaktion auf den Suizid seiner Frau Therese, der ihn wie aus heiterem Himmel traf;
doch keineswegs völlig ahnungslos (wie ich bei einem Wiederanhören seiner Erinnerungen, die ich vor
vielen Jahren auf Band gesprochen hatte, feststellte), denn in ihrer depressive Gemütsverfassung wurde
die Möglichkeit eines Suizids von ihr offen ausgesprochen, ja auch der Vorschlag, ihn gemeinsam zu begehen;
doch hat er in seiner narzisstischen Befangenheit offenbar so unerschütterlich in der Gewissheit gelebt,
dass sie seinetwegen nicht Ernst machen würde. Der Durchbruch zum Weibe allein war
vielleicht nicht ausreichend, um eine tragfähige Partnerschaft zu begründen. Meine zwiespältigen
Gefühle angesichts dieser Berichte (meine negativ gefärbte Sichtweise ist wie die obige spekulative
Annahme sicherlich völlig überzogen!) lassen sich etwa so ausdrücken: Es ist doch gut, nicht bei
Freud in Analyse gewesen zu sein.
Mit obiger ausführlicher Aufzählung meiner damaligen Lektüre will ich deutlich machen, wie
weit ich (imaginär!) in der Welt der Psychoanalyse aufgegangen war; ihr fühlte ich mich zugehörig,
sie war für mich soetwas wie eine geistige Heimat geworden. Jahrelang lebte ich in dem Gefühl, dass die
Psychoanalyse, die mich, nachdem ich mit der Physik dem Anschein nach endgültig abgeschlossen hatte, so sehr in
ihren Bann gezogen hatte, der fast ausschliesslich mein Interesse galt, auch beruflich als einziges für mich
in Frage käme – eigentlich, denn ich wusste auch, dass der Sog, der mich zur Psychoanalyse hinzog, mit
der Erkrankung zusammenhing, die mich für den Psycho- analytiker-Beruf ganz und gar ungeeignet machte. Es wird
als ein bekanntes Phänomen dargestellt, dass Analysanden als Folge einer Identifizierung häufig den Wunsch
entwickeln, selbst Analytiker zu werden; manchmal wird, wie z. B. für T.Moser, dieser Wunsch auch
Wirklichkeit. Allerdings bestand bei mir das Hingezogensein zur Psychoanalyse lange, bevor ich einem Analytiker
überhaupt begegnet bin, und meine Identifizierung mit D.A. bestand sicherlich, jedoch auf einer anderen
Grundlage – mein Ressentiment stand zwischen uns –: ich konnte gerade das nicht sein bzw. werden
wollen, was er war.
Im Laufe dieses Versuchs, das geistig-seelische Spannungsfeld darzulegen, fiel mir ein Kernsatz D.A.s wieder
ein, mit dem er der meinen Zustand charaktisierte: "Die Paradoxien machen Sie krank!" Auf
ein vergleichbares Paradox stiess ich bei der Lektüre von Kernbergs Buch über den
Narzissmus: er, der Autor, verstand nicht, warum es Patienten, obwohl sie eine Deutung akzeptiert und die
Ursache eines Konfliktes scheinbar eingesehen hatten, dennoch nicht besser ging und die Analyse keine Fortschritte
machte. Er hatte offensichtlich die psychische Einstellung nicht erkannt, für die D.A. den Begriff Ressentiment heranzog: In einem von Ungleichheit geprägten Verhältnis – hier
konkret dem von Analytiker und Analysand –, das von letzterem als ein Machtgefälle wahrgenommen wird,
ist es dem Analysanden, der sich als Unterlegener erlebt, unmöglich, etwas, das sich als Erfolg für den
Analytiker darstellt, zuzulassen, was diesen noch überlegener, noch grösser werden lässt.