Bei einer Gelegenheit nahmen die Zweifel an einer Weiterentwicklung von einem "Beziehungstheater" zu einer echten Liebesbeziehung eine konkrete Form an: S. hatte ein Bild gemalt, ein Aquarell mit etwas zerfliessenden Konturen. Es zeigte eine sitzende Frau mit einer männlichen Gestalt vor sich – die wohl mich darstellen sollte –, deren Kopf auf ihrem Schoss ruhte. Ihre langen schwarzen Haare fielen gleich einem Umhang herab und schienen den Kopf zu umhüllen. Ich brachte das Bild in die Analysestunde mit; das Urteil D.A.s lautete etwa, dass er darin keinen Ausdruck eines echten, tief empfundenen Gefühls erkennen konnte.

    Als sie in einer für mich kritischen Phase des Studiums, während ich mich in einem Physik-Labor der Uni durch ein Praktikum quälte, um einen noch fehlenden Übungs- schein zu bekommen, zu einem Urlaub in Süditalien wegfuhr, war es doch ein wenig beunruhigand, dass sie sich dort auch mit einem Ex-Freund traf. Auf der einen Seite sollte ich ihr doch dieselbe Freiheit zugestehen, die ich mir auch nahm, als ich allein nach Frankreich in Urlaub gefahren bin; doch war mein Misstrauen geweckt, ob diese Trennung nicht ein Anzeichen für eine beginnende Loslösung von mir war. Ich argwöhnte, dass sie – eine projektive Vorstellung – wieder oder immer noch unter dem übermächtigen Einfluss des Ex-Freundes stünde, dem sie sich nie wirklich entziehen könnte.

    Ich erhielt von ihr einen seitenlangen Brief, den ich wegen seines Umfangs und der überschwänglichen Mitteilsamkeit, mit der sie das In-der-Sonne-Liegen am Strand beschrieb – was ich ihr, ganz auf mein existenziell so wichtiges Ziel fixiert, in dem Augenblick sicherlich neidlos gönnte –, erstaunlich, wenn nicht leicht überdreht fand, dabei unsicher, welche Wirkung sie mit ihm bei mir hervorrufen, ob sie mich mit ihm beruhigen oder einfach demonstrieren wollte, wie gut es ihr ging.

    Tatsächlich führte dieser Urlaub zu einer weiteren Entfremdung zwischen uns. Ich hatte mich, wohl in der Anspannung des erwähnten Praktikums, in dem ich mich in die frühere Studienzeit zurückversetzt fühlte, mit den Rivalen, die um die zehn Jahre jünger waren als ich, von ihr im Stich gelassen gefühlt – jedenfalls setzte bei mir, vermutlich psychisch verstärkt, der Somatisierungs-Mechanismus ein: ich rutschte in einen vegetativen Tonusverlust. In diesem Zustand befand ich mich, als S. aus ihrem Urlaub zurückkehrte. Unfähig, mich über das Wiedersehen zu freuen, eröffnete ich ihr wie fremdgesteuert, "dass ich nicht durchgehalten" hätte, was sie sichtlich irritierte. Für mich kam dieser Vorgang einem Versagen gleich; dadurch, dass ich dem Somatisieren, der somatischen Reaktion auf die zeitweise Trennung, gegenüber machtlos ausgeliefert war, hatte ich den Test nicht bestanden, dem S. mich durch ihre Abwesenheit aussetzte. Nicht nur das: vermutlich hatte es auch einen negativen Effekt auf die Analyse, die mich vor dieser Erfahrung nicht bewahren konnte, wodurch meine Zweifel, ob ich jemals aus diesem Zustand herauskommen würde, sicherlich Auftrieb erhielten.