Zwei Jahre nach meinem Diplom hatte sie ihr Studium so weit hinter sich gebracht, dass nur noch das Staatsexamen vor ihr lag. Für die Analyse bedeutete dies, dass eine Zeit des Wartens und zunehmender Ungewissheit begann, und es lag schon eine pessimistische Erwartung in der Luft, dass für sie danach die Gelegenheit gekommen wäre, sich aus der gemeinsamen, aufeinander abgestimmten Lebensplanung endgültig zurückzuziehen, um ihre totale Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Anzeichen dafür hatte es im Laufe des letzten Jahres – des dritten – unserer Beziehung schon einige gegeben; so war sie immer seltener zum sexuellen Verkehr bereit.

    Einmal war sie am Abend mit zu mir gekommen, wir hatten bis etwa zwei Uhr nachts geredet, und danach ergab es sich ganz natürlich, dass wir zusammen zu Bett gingen, und es schien nichts dagegen zu sprechen, dass wir miteinander verkehrten, und nichts deutete in ihrem Verhalten darauf hin, dass sie dazu nicht bereit gewesen wäre; es wäre, wenn ich mich recht erinnere, nach einer längeren Pause das erstemal gewesen. Als wir aber zusammen im Bett lagen, wollte sie auf einmal nicht mehr, gab aber auch keinen Grund für ihr Verhalten an. Ihre Verweigerung schien wie unter einem Zwang zu geschehen. Ohne mich auf eine Diskussion darüber einzulassen, was wohl ihre Motive sein könnten, stellte ich nur kurz und bündig fest, dass wir unter diesen Umständen nicht die Nacht zusammenbleiben könnten; ich forderte sie auf, sich anzuziehen und nach Hause zu fahren. Ich begleitete sie bis zur nächsten vielbefahrenen Strasse, wo sie sich ein Taxi nehmen konnte. Als wir später einmal über ihre Verweigerung sprachen und ich äusserte, ich hätte den Eindruck, dass sie sich selbst nicht verstünde, stimmte sie dem zu: das wäre auch ihr Gefühl.

    Der Termin ihres Staatsexamens rückte näher, und ich stellte mein Verhalten darauf ein, d.h. ich versuchte ihr den Eindruck zu vermitteln, dass ich mir ihrer besonderen Situation, die durch die Prüfungsvorbereitungen mit der damit verbundenen seelischen Anspannung gegeben war, sehr wohl bewusst war. Ich hielt mich aber mit Einmischung, etwa mit Mut machenden Anreden ("Du wirst es schon schaffen!") zurück, da ich sie so einschätzte, dass es ihr sehr wichtig war, das Staatsexamen ganz aus eigener Kraft geschafft zu haben, also den Erfolg allein sich selbst zu verdanken. Möglicherweise hat sie meine Zurückhaltung aber als fehlendes Interesse aufgefasst oder auch zum Vorwand genommen, um mir innerlich einen solchen Vorwurf zu machen; bezeichnend für unsere zunehmende "Kontaktlosigkeit" war wohl auch, dass es gar nicht mehr zu einer Aussprache über diese Dinge kam; mein Verhalten war dadurch bestimmt, dass es nun von ihr ausgehen und sie auf mich zukommen müsste.