Auch seine Andeutungen, die er gelegentlich über seine sexuellen Aktivitäten machte, beispielsweise,
dass er mit einer Klinik-Kollegin Verkehr gehabt hatte – ich vermutete, dass es sich um eine Ärztin
handelte, auf die bezogen, als einmal das Gespräch auf sie kam, er mich fragte, "ob ich sie in meiner
Phantasie denn auch einmal nackt ausgezogen hätte" – , betonten seine ungebrochene
Handlungsfähigkeit, mit der er im Gegensatz zu mir sich das holte, was er brauchte, und damit gleichzeitig
die Kluft zwischen uns. Bei einer anderen Gelegenheit, als ich in der Stunde etwas über einen Film
erzählte, den ich gesehen hatte, und er ihn sich daraufhin gemeinsam mit seiner Partnerin ebenfalls
ansah, konnte ich einen Moment lang die Illusion haben, zwischen uns bestünde – oder es könnte
soetwas wie ein kumpelhaftes Verhältnis bestehen.
Das Gedankenspiel, privat mit ihm zu verkehren, erhielt neuen Schub durch die Erwähnung D.A.s eines
Urlaubs, den er und seine Partnerin einmal gemeinsam mit einem befreundeten Ehepaar verbracht hatten, und
war für mich eine Vorlage, mir vorzustellen, ob sie wohl Partnertausch gemacht haben. Und noch weiter:
dass ich mit Freundin an der Stelle des befreundeten Ehepaares wäre. Ich glaube aber, es ging nicht
um Eifersucht, weder machte er mich damit eifersüchtig, noch schien es mich anzu- regen: anscheinend
bewirkte ein Cordon sanitaire, den ich um mich bzw. die Distanz, die ich zwischen ihn und
mich gelegt hatte, dass ich mir seine sehr intimen Einblicke recht ungerührt anhörte, auch einen
scheinbar spontanen in sein aktuelles Sexualleben, den er mir gab: so habe er zu seiner Partnerin gesagt "Ich
stelle dir meinen Penis einfach nur hin, mach etwas damit".
Wirklich nur ungerührt? Rückblickend komme ich zur Annahme unterschiedlicher ambivalenter
Gefühlsebenen: was D.A. anging, eine Gewissheit, dass er, abgekoppelt von den, was mich betraf, wenig
hoffnungsvollen Aussichten für meine Zukunft, sein Eigenleben hatte und bei allen Wendungen, die es ja
auch bei ihm gab, die Kontinuität darin aufrechterhielt. Denn etwa zu der Zeit, als meine Tätigkeit
und parallel dazu die Analyse zu Ende ging, gab er seine Tätigkeit in der Klinik auf und orientierte
sich beruflich neu; zudem hatte er mit einer neuen Partnerin ein weiteres Kind. Kann ich sagen, dass ich
mich jenseits von Neid und Ressentiment mit seiner erfolgreichen Bewältigung der
existenziellen Brüche identifizierte und mich damit von meiner eigenen existenziellen Ungewissheit
entlastete?
Ein anderes inneres Szenario habe ich bereits angedeutet: mit der angespro- chenen Distanz hatte ich mich
praktisch schon aus dem analytischen Prozess ausge- klinkt. Früher hatte D.A. einmal eine Bemerkung über
eine Beobachtung an seiner Frau gemacht, dass sie dabei war, sich von ihm zu lösen. Wie so häufig fasste
ich es auf mich gemünzt auf, darauf, dass ich nicht mehr wirklich "mitmachte", anders gesagt, dass ich dabei
war, meine "Besetzung zurückzuziehen", das allerdings weniger, um sie "zur Vergrösserung des eigenen
Ich zu verwenden" (Freud).