Erinnerungen an diese Episoden depressiven geistigen Abgleitens in eine eigene Vorstellungswelt bei gleichzeitiger Abkehr von der realen Welt, die sich etwa zur Zeit meiner ersten Analyse, also vor ungefähr 40 Jahren, ereigneten, sie tauchten wohl auf, als ich mir Schrebers Denkwürdigkeiten mit der Schilderung seiner Halluzinationen während seines Aufenthalts in einer "Heilanstalt" wieder in Erinnerung rief. Die Gedankenspiele des Inhalts, mein Leben ebenfalls als Langzeit-Insasse in einer Klinik zu verbringen, waren begleitet von einer Selbstbeobachtung, die darauf abzielte, Anzeichen einer "Verrücktheit" bei mir wahrzunehmen. Die Vorstellung von einer Geistigen Umnachtung übte, wie schon erwähnt, einen Sog auf mich aus, sie erschien mir als eine Art Zuflucht, als die Lösung für mein existenzielles Problem, indem ich jede Verantwortung für meine Existenz abgab. Ich war offenbar stark auf die Idee von einem Leben in der Klinik fixiert.
Es muss ungefähr zur gleichen Zeit gewesen sein, dass es in Berlin eine Ausstellung der Prinzhorn-Sammlung gab. Durch die dort gezeigten Bilder und Kunstwerke, die von Insassen psychiatrischer Kliniken resp. Heilanstalten geschaffen worden waren, ist bei mir wohl der Eindruck erweckt worden, dass letztere soetwas waren wie eine spezielle Art von Sanatorien. Seitdem haben sich die Verhältnisse durch die Enthospitalisierung grundlegend verändert; ich hätte also unter diesen neuen Bedingungen eine andere Art von Vorstellung entwickeln müssen, an die ich mich hätte klammern können!
Bei einer früheren Gelegenheit hatte ich mit einer ähnlichen Anwandlung von verrückter
Ent-Wirklichung meine damalige Freundin, mit der ich in einer Ein-Zimmer-Wohnung zusammenlebte, bis zum Äussersten
irritiert und, wenn ich mich recht erinnere, so weit zur Verzweiflung getrieben, dass sie in Tränen ausbrach. Das,
was am Anfang von mir vielleicht als verrückt spielen, als ein Spiel mit einem sadistischen Zug
begann – ich stellte das Reden in menschlicher Sprache ein und kommunizierte mit ihr, indem ich nur noch Grunzlaute
von mir gab –, entwickelte bald eine Eigendynamik: ich merkte, dass ich von diesem "Rollenspiel" wie in einer
Falle gefangen gehalten wurde und nicht mehr zurück konnte. Das führte dazu, dass ich es den ganzen Abend
fortsetzte und mit einer Mischung aus Trotz und Angst, in einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei dem Gedanken
einschlief, dass auch am nächsten Tag der Bann vielleicht nicht gebrochen sein würde und ich nicht in der
Lage sein könnte, wieder zum Normalen Sprechen zurückzukehren.
Die Rückschau auf die gemeinsame Zeit mit L. neulich, das Wiedereintauchen in die Erinnerung an unser
Zusammenleben mit seinen Tiefen scheint der Auftakt zu der darauffolgenden Vergangenheitssuche gewesen zu sein. Da
war die Google-Suche nach G., dem Freund aus der Studienzeit, mit dem ich vor fünfzig Jahren gemeinsam
gebüffelt und den ich vor vielleicht zwanzig Jahren zum letzten Mal getroffen hatte. Von ihm keine Spur, d.h. kein
Eintrag, dagegen jedoch von R., seiner Lebensgefährtin, mit Adresse und Telefonnummer, beides unverändert
dieselben wie zu der Zeit, als ich Anfang der Siebziger in der gemeinsamen Wohngemeinschaft – für kurze
Zeit auch mit L. – gelebt habe.