Eine Gemeinsamkeit war unsere Vorliebe für die Klassische Musik, wobei sie mir voraus hatten, dass sie beide musizierten: sie spielte Geige, er Querflöte; ich dagegen war "nur" ein passiver Hörer. Einmal lieh ich mir von ihnen eine Schallplatte mit Streichquartetten von Beethoven aus – zwei der späten Quartette, gespielt vom Amadeus-Quartett –, wohl um sie mit dem Kassetten-Recorder zu überspielen. Um eine optimale Aufnahme zu erhalten, wollte ich sie vorher reinigen und benutzte dazu aus Gedankenlosigkeit ein acetongetränktes Tuch. Die so ruinierte Platte musste ich durch eine neue ersetzen, wobei ich, als ich sie zurück gab, mein Missgeschick verschwieg. Allerdings musste ich, da diese Platte (ich meine es war Op.127) nicht einzeln erhältlich war, eine Kassette mit allen späten Quartetten kaufen.

    Es war wohl – nicht um etwas gutzumachen, da ich ja, um der Peinlichkeit von Erklärungen sowie Entschuldigungen zu entgehen, eine fast neuwertige, nur wenige Male von mir abgespielte Schallplatte zurückgegeben hatte –, vielmehr zur Pflege unserer Beziehung gedacht, dass ich der Freundin eine Kassette mit den Sonaten und Partiten für Violine solo von Bach, gespielt von Henryk Szeringk, schenkte, als ein Mittel, um den unterschwellig vorhandenen Ambivalenzen entgegenzuwirken.

    Tatsächlich gab es etwa in den Siebzigern eine Phase, in der ich mir Platten kaufte, so auch diese und andere mit "historischen" Aufnahmen bei einem Ausverkauf von Mono-Platten, von denen ich einige heute noch besitze, obwohl ich sie mangels Plattenspieler an die zwanzig Jahre nicht mehr angehört habe und ich sie vermutlich auch nie mehr abspielen werde; so unter anderem eine Kassette mit den Mozart-Sinfonien von der Nr.25 (die "kleine g-moll") aufwärts und eine weitere mit sämtlichen Streichquartetten von Beethoven, eine historische Aufnahme mit dem Ungarischen Streichquartett. Auf meine besondere, übersteigerte Empfänglichkeit für Musik, die manchmal mein Musik-Erleben bestimmt, werde ich noch zu sprechen kommen.

    Von unserer letzten Begegnung, als sie – es muss über zehn Jahre her sein, nachdem wir uns zuvor sechs oder acht Jahre nicht gesehen hatten – wiederum sehr überraschend zu mir zu dem Kiosk kam, in dem ich damals ein paar Stunden die Woche jobbte, ist mir ein Eindruck ihrer Undurchschaubarkeit in Erinnerung geblieben. Was immer ihr Motiv bzw. ein für mich undurchsichtiger Anlass zu diesem Besuch war: Sie, die ich als recht selbstbewusst kannte, war sehr wortkarg, sprach fast stockend, gab vor, nur einen Kaugummi kaufen zu wollen. Dieses Zusammentreffen hatte ein leichtes Unbehagen in mir hinterlassen, ein nagendes Grübeln, dass sie mit einer Erwartung gekommen war, über etwas, das sie bedrückte, mit mir zu sprechen, und dass meine kühle Reaktion mit dem mir eigenen ironischen Unterton sie daran hinderte, dass ich sie damit enttäuscht hätte. Auch war mir sicherlich halb bewusst, dass die Möglichkeit im Raum stand, die alten engeren Beziehungen wieder aufleben zu lassen. So konnte ich mich nicht mit der banalen Begründung zufrieden geben, dass sie aus purer Neugier nach mir sehen wollte, sondern ich fand schliesslich als Erklärung, dass ich für sie eine Projektionsfläche für Erwartungen darstellte, die für mich im Dunkeln blieben. Aber genug von "abgelebten Zeiten"!?