Und in der Rückschau auf meine Aktivitäten dieser Tage, die gequälten, verlang- samten Reaktionen als Auswirkung von Kopfdruck und Schlappheit, in der Runde beim Kartenspiel oder bei meinem Gang zum Bürgerbüro, wo ich, mit einer recht ungeduldig drängenden Angestellten konfrontiert, in meinem "Zustand" nur mit Mühe mein Anliegen vorbringen konnte: da war ich doch nicht ich selbst, das werfe ich doch besser als nicht zu mir gehörig von mir ab; aber amputiere ich mich damit nicht selbst? – Im folgenden Kapitel, in dem ich auf meine Haft-Zeit zu sprechen komme, werde ich näher auf diese Methode der Selbst-Reduktion mit dem Ziel, nur das in das Selbst zu integrieren, mit dem man konform ist, mit dem und als der man leben kann (und als den man sich nicht selbst verachten muss), zurückkommen.

    Was bleibt dann aber übrig, wer ist man dann noch, wenn man nicht mehr der sein will – nicht gewesen sein will –, als der man bestimmte qualvolle Lebenssituationen überstehen musste, wie zum Beispiel in der Schulzeit, als ich von gewissen Mitschülern, unfähig, mich zur Wehr zu setzen, unter anderem wegen meines Rotwerdens gehänselt wurde (die Er-Lösung kam auf "natürliche" Weise erst, als diese Jungen aus der Klasse verschwanden, wegen nicht ausreichender Leistungen nicht versetzt wurden oder ganz von der Schule abgingen); oder einige Jahre später, in dem Jahr vor dem "Einjährigen", in dem traditionell der Tanzkursus stattfand, als ich wegen angeblicher Vergehen, derer man mich bezichtigte (ich hätte bei einer Protestaktion der Klasse mangelnde Solidarität gezeigt), in Isolation geriet und daher dem Abschlussball fernblieb. Auch diese Situation wurde dadurch beendet, dass die zwei oder drei Drahtzieher der gegen mich gerichteten Kampagne am Schuljahres-Ende nicht in die Oberstufe versetzt wurden und die Schule verlassen mussten. Für sie, Söhne gutgestellter Väter (Zahnarzt bzw. Anwalt, wenn ich mich recht erinnere), gab es ein Internat, das solchen minderbegabten Schülern die Möglichkeit bot, dennoch das Abitur zu erlangen, so dass der Zahnarzt-Sohn sicherlich später die Praxis des Vaters übernehmen konnte.

    Wieweit provozierte ich, gewollt oder ungewollt, dass ich in die Opferrolle geriet? Hier springt mich wieder dieser Begriff an: das Paradox: ich war mir meiner Intelligenz bewusst und der Tatsache, dass sie die der Mehrheit der Mitschüler übertraf; ich wurde ja auch bei passenden Gelegenheiten darauf gestossen, wenn beispielsweise der Lehrer im ersten Französisch-Jahr bei der Rückgabe der allerersten Klassenarbeit, einem Diktat, die Klasse aufforderte, aufzustehen, um zu verkünden, dass ich als einziger eine fehlerfreie Arbeit abgeliefert hatte. Oder als ein Lehrer mich aus dem Unterricht heraus in die Klasse über mir, in der er gerade Englisch-Unterricht gab, holen liess, um ihr zu demonstrieren, dass schon ein Schüler aus der Klasse darunter wusste, dass "als" nach dem Komparativ im Englischen than lautet. Solche Bekundungen von Seiten einiger Lehrer, dass ich ein Schüler war, der ihren Erwartungen entsprach – ein Musterschüler; in den Augen mancher Klassenkameraden jedoch ein "Streber" –, machten mich zu einem Hassobjekt und damit zu einer Zielscheibe für einige weniger Begabte, die ständig gegen das Sitzenbleiben zu kämpfen hatten.