Es ist richtig, dass ich mich ganz allgemein von Verantwortung freigesprochen – oder soll ich besser sagen: entlastet – habe und für das, was mir im Leben zustiess, nur bedingt verantwortlich gefühlt habe – angefangen von meinem Gesicht (bei Sartre habe ich irgendwo gelesen, dass mit vierzig jeder für sein Gesicht verantwortlich sei) –, was mich selbst sowie die Auswirkungen auf andere betrifft, wenn mein Handeln durch Selbsterhaltung bzw. Selbstschutz motiviert ist. Meine Logik war die, mich für nicht verantwortungsfähig zu erklären (bei einer Begutachtung für die Landesversicherungs- anstalt gab eine Ärztin ein Urteil – Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen – über mich ab, dem ich innerlich nur zustimmte) und Selbstvorwürfe, anstatt ich von ihnen "niederknüppeln" zu lassen, von mir zu weisen. Diese Gedanken kamen mir, als neulich die geschilderten Geschehnisse und meine "Verstrickung" darin wieder in meiner Erinnerung auftauchten.

    Rückblickend muss ich feststellen, dass ich in der verfahrenen Lebenslage, in der ich mich damals befand, im grossen ganzen doch einiges Glück gehabt habe, da mich soziale Beziehungen, waren sie auch noch so spärlich und brüchig, vor einem tieferen Abgleiten (ich denke an meine früheren Clochard-Phantasien) bewahrt haben. In der kritischen Situation – ohne eigene Wohnung, ohne Berufsperspektive, mit zu Ende gehendem Geld (von einem alten Bekannten aus der Schulzeit konnte ich mir ein paar hundert D-Mark leihen) – wurde ein Gang zum Sozialamt unvermeidlich; dort bekam ich eine Art Vorschuss, der jedoch nie zurückgefordert wurde. Ein Zufall verhalf mir dann zu einer Ein-Zimmer-Wohnung, indem ich die Mietschuld des Vormieters von 200 oder 250DM übernahm; in dieser recht dunklen Hinterhof-Wohnung (die Miete betrug anfangs ca.50DM!) lebte ich die nächsten dreiundzwanzig Jahre.

    Ich musste Geld verdienen. Von einer flüchtigen Bekannten, die als Grafikerin in der PR-Abteilung des Klinikums Steglitz – dem heutigen Uni-Klinikum Benjamin Franklin – angestellt war, bekam ich den Tip, dass dort Arbeitskräfte gesucht wurden. So fing ich, erfüllt von Ressentiment und nagender Selbstabwertung, notgedrungen in der Transport-Abteilung, dem "Hol- und Bringedienst", an, von dem die Transporte von Untersuchungsmaterial, von Blut- und Gewebeproben, Blutkonserven usw. zwischen den Stationen und den verschiedenen Labors, der Blutbank, dem OP, durchgeführt wurden. In der Krankenhaus-Hierarche rangierten die in diesem im Untergeschoss untergebrachten Bereich Arbeitenden ziemlich weit unten – wobei die im gleichen Raum stationierten Krankentransporteure in ihrer polohemd-artigen kurzärmeligen weissen Kluft allerdings noch ein klein wenig über der Hol- und Bringedienst-Truppe rangierten –; auf einer Stufe darunter kam nur noch das Reinigungs-Personal, in der Mehrzahl ausländische Frauen, die, erkenntlich durch ihre blaue Arbeitskleidung, beim Reinigen der langen Flure und beim Leeren der Abfallbehälter zu beobachten waren.