Man sah C. ihre Heroinabhängigkeit nicht an, sie war dem Anschein nach eine äusserlich unauffällige
Medizin-Studentin; das Heroin betrachtete sie als Medizin, die ihr gegen ihre somatischen Beschwerden, die den
meinen ähnlich schienen – chronische Kopfschmerzen u.a. –, half und ihr so das Leben einigermassen
erträglich machte. Nun hatte sie vor, einen Entzug zu machen, den sie in ihrer grossen Gemeinschaftswohnung
vornehmen wollte, unterstützt von den Mitbewohnern sowie von einem Psychologen. Zuvor hatte sie noch eine
Abtreibung, eine Entschwängerung, wie sie es nannte, die sie in einer Pizzeria zusammen mit
ihren Freunden beging. Dabei fühlte ich mich von ihrer Clique gewissermassen adoptiert.
Bei einer Gelegenheit sassen wir in ihrem grossen Zimmer zusammen, in dem es auch ein Klavier gab, und es stellte
sich heraus, dass sie mein Interesse für klassische Musik teilte. So spielte sie mir etwas am Klavier vor. Ich
glaubte bei ihr eine gewisse Resonanz zu wahrzunehmen, und ich entwickelte eine Phantasie von einer gemein- samen
Zukunft, natürlich nachdem sie nach ihrem Entzug clean wäre und – mit meiner
Unterstützung – bleiben würde. Ich sah mich in der Rolle ihres Retters, stellte
mir vor, einige Zeit mit ihr in einer Gegend zu verbringen, wo sie keinen Zugang zu Drogen hätte: in Frankreich,
in einer abgelegenen Gegend in der Bretagne; Phantasien, in denen ich Erinnerungen an meine früheren Reisen
und die dort verbrachten Urlaube aufgriff.
Wie ich merke, fällt es mir auch nach so vielen Jahren schwer, die Ereig- nisse um den Entzug, den sie unternahm, sowie meinen Anteil an seinem Verlauf, der schliesslich mit ihrem Suizid endete, sachlich darzustellen. Da scheint in einem alten Dämon doch noch ein Rest von Leben vorhanden zu sein: Scham, Selbstvorwürfe wegen einer Mitverantwortung, da ich ihr bei dem Suizid ungewollt Beihilfe geleistet habe, indem ich ihr im guten Glauben, sie damit bei ihrem Entzug zu unterstützen, das Schlafmittel besorgte, auf ihren ausdrücklichen Wunsch (möglicherweise schon mit dem Hintergedanken an einen Suizid, den sie mit Sicherheit bereits in Betracht gezogen hatte) ein Barbiturat, das sie sich allem Anschein nach schliesslich spritzte – zu einem Zeitpunkt, an dem ich mich, möglicherweise aufgrund einer Intrige, von ihr fernhielt, obwohl ich eigentlich hätte bei ihr sein sollen; eine Mitverant- wortung, mit der ich mich damals nicht belasten konnte und wollte.