Zweierlei Umstände kamen bei der Beendigung der Analyse nach viereinhalb Jahren zusammen: die Einsicht, dass
wir erreicht hatten, was im Rahmen ihrer Möglich- keiten erreichbar war, und es keinen Sinn hatte, sie noch
weiterzuführen; unabhängig davon war sie, Dr.R., im Begriff, eine berufliche Veränderung vorzunehmen,
verbunden mit ihrem Weggang aus B., wodurch eine Fortführung der Analyse auf jeden Fall ausgeschlossen war.
Meine Fixierung auf die Psychoanalyse, die Überzeugung, dass ich nur von ihr einen Ausweg aus meiner
existenziellen Notlage erwarten konnte, bestand unverändert fort; es musste nur eine Andere Psychoanalyse,
eine von grösserer Wirksamkeit sein, wie sie vielleicht Anderswo praktiziert wurde: in England beispielsweise,
wo sich unter dem Einfluss von Anna Freud auf der einen sowie Melanie Klein
auf der anderen Seite die Psychoanalyse in eine andere Richtung (bzw. Richtungen) entwickelt hatte.
Nach der Beendigung der Analyse im Sommer '72 trieb es mich wieder WEG; ich fuhr wie schon zuvor per Anhalter
über Frankreich, Spanien, Portugal nach Marokko, diesmal mit der Absicht, mehrere Monate wegzubleiben (am
Ende waren es, wenn ich mich recht entsinne, nicht mehr als vier Monate). In einer Jugendherberge in Portugal
machte ich die Bekanntschaft einer Studentin aus London, der Tochter eines jüdischen Psychoanalytikers.
Jedoch nicht mit ihr, sondern mit einer jungen Amerikanerin blieb ich nachts draussen am Strand, wo wir es
miteinander trieben. Ich setzte meine Reise nach Marokko fort, Fes, Rabat, Marrakesch. Es war,
wenn ich mich recht entsinne, auf dieser Reise, dass ich auch in den Süden des Landes, auf die andere Seite
des Atlas bis an den Rand der Wüste, die eine grosse Anziehungskraft auf mich ausübte, gefahren bin .
Als mir auf der Rückfahrt in Spanien eine Mitfahrgelegenheit bis nach London geboten wurde, ergriff ich die
Gelegenheit beim Schopfe: es war das erste und einzige Mal, dass ich in England war. Ich war nach wie vor von der
fixen Idee beherrscht, in England die Psychoanalyse (bzw. den Psychoanalytiker) zu finden, die mir
aus meiner Notlage heraushelfen würde; ein Gedanke, an den ich mich wie an einen Rettungsring klammerte. Nun
kam die junge Engländerin mit dem Psychoanalytiker-Vater, bei der ich während meines London-Aufenthalts
in einer Wohngemeinschaft wohnte, ins Spiel. Ich brachte sie tatsächlich dazu, ihn meinetwegen anzusprechen;
es war natürlich, schon wegen der Geldfrage (wie hätte ich in England Geld verdienen können, um
eine Analyse zu bezahlen!), völlig illusorisch, erklärte sich allein aus meiner verzweifelten Situation
heraus. Abgesehen davon war er auch nicht bereit, mit mir, einem Deutschen, zu sprechen; im Grunde hatte ich damit
gerechnet, weil Familienmitglieder durch den Holocaust umgekommen waren. Am Beispiel der Tochter – und einer
anderen jungen jüdischen Frau, der ich ein paar Jahre zuvor ebenfalls bei einer Urlaubsreise ins Ausland
begegnet war – machte ich die Erfahrung, dass unter Menschen der jüngeren Generation von der
Vergangenheit unvorbelastete Beziehungen möglich waren.