1972 – das Jahr des Einschnitts

    Die Zeit der Krise, nachdem ich die Uni endgültig verlassen hatte; ja man kann von einer gewissen Entwurzelung sprechen, denn ich hatte sogar mein Wohngemein- schafts-Zimmer aufgegeben und meinen Krempel in einem Kellerraum untergestellt, um eine längere Reise in südliche Länder, Spanien, Portugal, Marokko, zu unternehmen. Nach meiner Rückkehr – ich war mit der Absicht losgefahren, den ganzen Winter über "da unten" zu bleiben, war aber dann doch schon kurz vor Weihnachten wieder zurück – hatte ich keine eigene Wohnung. Zunächst kam ich bei Bekannten in einer WG unter, in der auch eine Frau wohnte, mit der ich einige Jahren zuvor in einer näheren Beziehung gestanden hatte. So waren wir einmal gemeinsam von B. nach Rom getrampt, wo sich unsere Wege trennten. Am Brenner hatten wir, in unsere Schlafsäcke gehüllt, unter Bäumen im Freien geschlafen.

    Es war die erste Situation, in der wir uns körperlich so nahe kamen – nicht sexuell, erst später hatten wir einen einzigen sexuellen Verkehr. S. war vom Typ her meiner Mutter etwas ähnlich; sie war ebenfalls dunkel-, fast schwarzhaarig, auch hatte sie eine kleine, gerade Nase (man konnte meine Mutter als recht hübsch bezeichnen – was wohl mit dazu beigetragen hat, dass mein Vater, der nicht mehr ganz so junge Jung-Lehrer (er war 12 Jahre älter als sie) "auf sie geflogen ist" –, und ich kann mir vorstellen, dass er sie bei sich bietenden Gelegenheiten gern seinen Lehrerkollegen vorgezeigt hat. An jene am Brenner unter Tannen in Schlafsäcken verbrachte Nacht erinnere ich mich deshalb, weil die unverhoffte Nähe mich zu der törichten Bemerkung verleitete, sie erinnere mich an meine Mutter.

    Mit der Zeit wurde mein Bleiben in der Wohngemeinschaft, in der, wie oben erwähnt, S. mit mehreren Mitbewohnern lebte, immer problematischer, da es zwischen ihr und mir mehr und mehr zu Spannungen kam und sich bei mir zunehmend das Gefühl verstärkte, nur noch geduldet zu sein und dass ihr meine Anwesenheit, nachdem ich nun lange genug ihre Gastlichkeit in Anspruch genommen hatte, lästig war und sie wünschte, dass ich aus der Wohnung auszog. Ich weiss nicht mehr, wie deutlich sie es mir zu verstehen gab; jedenfalls spürte ich, verstärkt durch die kritische psychische Verfassung, in der ich mich befand und aufgrund derer ich sicherlich dazu neigte, sie zu dämonisieren, eine von ihr ausgehende zunehmende Ablehnung, ja Feindseligkeit.