Einer meiner Kollegen, der wie ich einen der Schicht-Dienste als Telefonist machte – er dürfte etwa im gleichen Alter wie ich, also etwas über dreissig, gewesen sein –, wurde zu meinem Intim-Feind. Er bekannte sich offen dazu, Kommunist zu sein und von der Partei (ich meine, er kam ursprünglich von der westdeutschen DKP) nach einer Schulung in die Gewerkschaft – d.h. die (damalige) ÖTV – geschickt worden zu sein, um auf ihre Arbeit im Sinn der SEW, des West-Berliner Ablegers der DKP, Einfluss zu nehmen. Ich weiss nicht mehr, wie es dazu kam, dass wir Gelegenheiten zu politischen Auseinandersetzungen hatten, denn unsere Dienste überschnitten sich nicht, vielmehr konnten wir nur bei Schichtwechseln aufeinander treffen.
Der Auslöser für unsere Auseinandersetzungen in jenem Frühjahr 1974 war die Ausweisung Solschenizyns aus der UdSSR, die er mit einer doktrinären Auffassung rechtfertigte. Es ging, wenn ich mich richtig erinnere, nicht um den Archipel GULag, vielmehr um den Roman Krebsstation, über den er sich, ohne ihn selbst gelesen zu haben, ein Urteil anmasste, indem er ihn kurzerhand für literarisch minderwertig erklärte.
An einer Stelle bekam unsere Auseinandersetzung – sei es durch sein recht- haberisches Gebaren, das mich
gegen ihn aufbrachte, oder ausgelöst durch einen weite- ren Umstand, durch den ich mich in die Enge getrieben
fühlte – für mich eine unange- nehme Zuspitzung: Einer der Kollegen, der unseren Schlagabtausch
verfolgte, kommen- tierte eine meiner Äusserungen mit der Bemerkung: "Du bist doch nicht etwa neidisch!?"
Ich fühlte mich ertappt, blossgestellt, und reagierte mit einer Panik-Handlung, indem ich mich von meinem
Stuhl aufrichtete, um das Kippfenster zu öffnen, woraufhin besagter Kollege süffisant nachlegte: "Jetzt
muss er das Fenster aufmachen, weil er frische Luft braucht" (oder so ähnlich)..
Die Tatsache, dass er etwas darstellte, dass er in seiner Funktion eine gewisse Machtposition verkörperte,
scheint – so sehr er mir als Persönlichkeit, seinem ganzen Wesen nach, mit seinem
hemdsärmelig-klotzigen Auftreten, das von seinem massigen Körperbau als auch von der Lautstärke
seines Organs bekräftigt wurde, unsympathisch war – für mich ein Grund zum Neid gewesen zu sein.
Er hat später in der Politik – zumindest partei-intern – eine gewisse Karriere gemacht; nach dem
Mauerfall hat er, wie ich aus der Zeitung entnehmen konnte, in einem der Ost-Berliner Wahlkreise für die
SED-Nachfolge-Partei, die PDS, kandidiert.