Wieviele Jahre hatten wir uns nicht gesehen; wieso schrieben wir uns überhaupt noch? Ich meine, seit unserem letzten Zusammentreffen an ihrem Wohnort in Frankreich – das war, als sie schon verheiratet war – waren etwa drei Jahre vergangen. Der Kopf hatte eingesehen, dass unsere Beziehung nur zeitlich begrenzt und nicht von Dauer sein konnte; tief im Innern jedoch war das Erleben ein anderes: nämlich das eines Verlassenen. Ich hatte in den Jahren seitdem drei oder vier kürzere Liebesaffären; der Boden unter meinen Füssen war nicht genügend gefestigt, um tragfähig für eine dauer- hafte Beziehung zu sein, die ich andererseits für eine seelische Konsolidierung dringend gebraucht hätte.

    Was wir in diesen Tagen unternahmen und wie lange sie überaupt blieb, ich weiss es nicht mehr; ich denke, es waren nicht mehr als drei oder vier Tage, in denen wir zeitweise mit dem geliehenen Wagen unterwegs waren. Mir fällt jetzt auf, dass wir anscheinend nie zusammen in Ost-Berlin gewesen sind; falls doch, ist jede Erinnerung daran ausgelöscht. Ein kulturelles Ereignis haben wir gemeinsam erlebt: das Antiken- Projekt der Schaubühne, das, wenn ich mich recht erinnere, an zwei Abenden in den Messe-Hallen am Funkturm gegeben wurde. In der Erinnerung haften geblieben ist – neben den leibhaftigen Pferden auf der Bühne – die Pausen-Einlage vom damals noch nicht so sehr bekannten Otto Sander – seine Karriere als Filmschauspieler begann wohl erst später –, der draussen im Garten einen Auftritt hatte, bei dem er auf einer Bühne in einem Fauns- bzw. Satyr-Kostüm mit einem riesenhaften Phallus hin und her stolzierte, während die Theaterbesucher in lockeren Gruppen mit Erfrischungsgetränken herumstanden.

    Die letzten Tage mit ihr: eines der Schwarzen Löcher in meiner Erinnerung; wohl als Folge meines Zustandes partieller Abwesenheit, auch wenn wir die Zeit aus- füllten und sicherlich einiges unternahmen. Ein Teil von mir blieb "draussen", war nicht wirklich dabei. Einmal hat sie sich in der Schlossstrasse für einige Zeit verselbständigt, wohl um irgendwelche Einkäufe zu machen, von Dingen, die in Frankreich nicht so leicht oder nicht so günstig zu bekommen waren. Ich erinnere mich, wie sie einige Jahre zuvor, als wir für ein paar Wochen in einer WG zusammenlebten, Besuch von ihrer Freundin mit ihrem Kleinkind bekam und sie beide glücklich von einer Einkaufstour im Zentrum zurückkamen: sie hatten die damals ziemlich neuartige, noch wenig gebräuchliche Tragevorrichtung für Kleinkinder gefunden, mit der sie das Baby nun vor den Bauch geschnallt "leihweise" tragen durfte. Auch Empfängnisverhütungspillen hatte ich ihr einmal, als sie in Frankreich noch nicht erhältlich waren, von einer mir bekannten Ärztin, die einen Vorrat an Probepackungen besass, besorgen können.