Nach der Erzählung der Mutter sorgte ich am Tag unseres Aufbruchs aus dem kleinen oberschlesischen Dorf –
meinem Geburtsort – in der Nähe der tschechischen Grenze, wo wir, wie erwähnt, im Schulgebäude
wohnten, während der Vater in Berlin in der Wehrmachtsverwaltung am Fehrbelliner Platz mit der Auszahlung des
Solds befasst war und sich bis zum Rang eines Oberleutnants hochdiente (er war bei Kriegsende zweiundvierzig), noch
für eine besondere Aufregung: ich war nämlich verschwunden, so dass die Mutter sich auf die Suche nach
mir begeben musste, bis sie mich schliesslich am Rand der durch den Ort führenden Strasse fand, auf der schon
die deutschen Panzer vermutlich auf dem Rückzug vor der heranrückenden Roten Armee durchrollten.
Ich kann nur vermuten, dass diese Erfahrungen, die Flucht und die sich daran anschliessende Zeit im
Flüchtlingslager, die zweifellos durch Hunger und Kälte, von mir sicherlich als traumatisch erlebt,
geprägt war, tiefe Spuren in mir hinterlassen haben, auch wenn ich sie so gut wie vollständig aus dem
mir zugänglichen Gedächtnis (bruch- stückhaft ist das Wort Frostbeule in meiner
Erinnerung wieder aufgetaucht) getilgt habe. Erhalten hat sich nur eine vage Erinnerung an lange Eisenbahnfahrten
(von Oesterreich ging es in den Norden Deutschlands), die ich ein wenig als ein aufregendes Abenteuer erlebt haben
muss, sowie an die Faszination für alles, was mit der Eisenbahn zusam- menhing: für die Loks ebenso
wie für die Waggons mit ihrem kleinen Vorbau, dem Bremshäuschen, wie mir auf meine
Frage erklärt wurde.
Möglicherweise geht meine Vorliebe für das Reisen mit der Bahn, mit häufig bis zu
20stündigen Eisenbahnfahrten, sei es nach Südfrankreich oder Italien, auf jene Kindheitserlebnisse
zurück. Einen gefühlsmässig tieferen Eindruck hat aber zweifellos das Erleben eines Zuammenhalts im
wahrsten Sinn des Wortes hinterlassen, denn die grösste Sorge unserer Mutter musste sein, uns zusam- menzuhalten,
damit keiner von uns (meinen Bruder, der nicht ganz eineinhalb Jahre alt war, muss sie übrigens auf dem Arm
getragen haben, was in mir eine Regung geweckt haben könnte, mit ihm zu tauschen und an seiner Stelle zu sein)
im Gewühl und im Gedränge der Menschenansammlungen verloren ging.