Mit der Analyse bei F.R. kam wieder Hoffnung in mein Leben. Entscheidend dabei war, dass im realen Leben Veränderungen eintraten, die mir wieder Mut machten. Dabei gab mir der glückliche Umstand, dass ich eine Beziehung mit einer Frau beginnen und die ersten sexuellen Erfahrungen machen konnte, neuen Auftrieb: Nur durch diesen Fortschritt, der nach meinen scheinbar aussichtslosen Hoffnungen, was meine Beziehung zu Frauen betraf, einen tiefen Einschnitt in meinem Leben bedeutete, konnte ich mehr Vertrauen in die Analyse (und die Analytikerin) gewinnen, da ich sah, dass sie etwas bewirkte; denn mein Vertrauen war immer durch meine Neigung zur Abwertung und zu Zweifeln an ihren Fähigkeiten in Frage gestellt, was – wie es später eintrat – nach anfänglichen Fortschritten einen langfristigen Erfolg, eine dauerhafte Besserung, zunichte machen konnte.

    Nach einem halben Jahr Analyse hatte ich eine Urlaubsreise in die Bretagne unternommen, wo ich in einer Jugendherberge L. kennenlernte. Zwischen dieser ersten Begegnung und unserem eigentlichen Zusammenkommen, als sie nach B. kam und wir in meiner Wohnung zusammenlebten, hielten wir drei oder vier Monate mit Briefen Kontakt: wir schrieben uns regelmässig, zunächst wöchentlich, dann immer häufiger, bald zwei, schliesslich drei Briefe in der Woche. Ich wohnte damals in einer Ein-Zimmer- Wohnung im vierten Stock in einem Seitenflügel; der Briefträger, der, um die Briefe zuzustellen, noch bis an die Wohnungstür kommen musste und als Postillon d'amour fungierte, musste zu mir hoch vier Treppen steigen! Ich war zu der Zeit häufig vormittags in der Wohnung und wartete darauf, dass das Geräusch der Klappe vor dem Briefschlitz und das Fallen eines Briefes auf den Boden zu hören war.

    Auch diese Brief-Beziehung wurde, wie bereits angedeutet, durch Krisen gefährdet; aus der Entfernung haben wir uns schon das erste Zerwürfnis bereitet. Ich erinnere mich, dass ich nach dem Urlaub, im August '68, der Zeit des "Prager Frühlings", ein paar Wochen als studentischer "Leiharbeiter" (ich hatte das Studium faktisch aufge- geben, war aber wegen der Jobs noch weiter immatrikuliert) in einer kleinen Hinterhof-Klitsche jobbte, in der ich Plastikteile zu formen und Eisenteile zuzuschneiden hatte, die dann mit Kunststoff überzogen wurden. Ich hatte, wohl als Folge eines Missverständ- nisses, einen Brief von ihr bekommen, aus dem ich herauslas, dass sie keinen Sinn mehr darin sah, mir weiter zu schreiben, und sie den Briefwechsel beenden wollte. Mit diesem Brief in der Tasche – vielleicht auch nicht, zumindest imaginär hatte ich ihn dabei – war ich am nächsten Tag bei der Arbeit in einer elenden Verfassung, dem Heulen nahe, und vielleicht habe ich wirklich geweint. Was auch immer das Missver- ständnis gewesen war, das diese Krise verursacht hatte, es bedeutete dann doch nicht das Ende unserer Beziehung; und irgendwann zu Beginn des Winters – wenn ich mich recht entsinne, Anfang Dezember – kam sie nach B.

    Was war passiert? Wir hatten in das zunehmend intensivere Briefeschreiben mehr und mehr unseren Narzissmus investiert; diese narzisstische Besetzung, vorge- nommen auf der Grundlage unserer Idealisierungen – des idealisierten Bildes des Anderen und der fiktiven Nähe eines Partners, gestützt auf eine mit der Zeit nach und nach verblassende Erinnerung, die durch Phantasie ersetzt werden musste – ist zu schwach, um auch eine längere Trennung aushalten zu können, und wird mit der Zeit brüchig. Das Bild des anderen wird undeutlich, Zweifel tritt an die Stelle der Erwartung, eine Sinnentleerung tritt ein: die Fortführung des Briefeschreibens erscheint als sinnlos. Was ich hier in Worte zu fassen suche, habe ich damals sicher nicht auf diese Weise gedanklich bewältigt; vielmehr resultiert diese Sichtweise aus späteren Trennungs-Erfahrungen.