Ich war nach dem Abitur kurz nach dem Mauerbau 1961 zum Physik-Studium nach Berlin gegangen, wodurch ich gedachte, einer Einberufung zur Bundeswehr zu entgehen und zudem eine Episode hoffnungsloser, quälender Verliebtheit in eine Mitschülerin während der letzten Schuljahre, mit völlig unbefriedigenden Annäherungs- versuchen aufgrund meiner Gehemmtheit und Schüchternheit, hinter mir zu lassen. Noch in einem Zustand emotionaler Leere liess ich mich für ein Fluchthilfe-Unter- nehmen als Kurier anheuern, und mit zwanzig fand ich mich in einem Stasi-Gefängnis wieder und hatte Gelegenheit, über mich und darüber, was ich aus meinem Leben machen sollte, nachzudenken. Ich kam zu dem Schluss, dass ich mit meiner Entschei- dung für die Physik eine falsche Wahl getroffen hatte, und es bildete sich in mir der – aus späterer Sicht ziemlich abwegige – Entschluss heraus, wenn ich wieder in Freiheit sein würde, ein Medizinstudium zu beginnen, eine sicherlich irrationale, llusionäre Idee von einem Neuanfang, an die ich mich in der traumatischen, schwer zu ertragenden Ausnahmesituation, in der ich mich befand, klammern konnte.

    So machte ich, nach einem Jahr im Gefängnis wieder in Freiheit, dann doch da weiter, wo ich durch die Haft unterbrochen worden war, ich studierte also, in enger Schicksalsgemeinschaft mit einem Studienfreund, weiter Physik, legte ein paar Prü- fungen ab, bis mir, aufgrund erneuter Zweifel, und nachdem ich durch den Weggang des Freundes auf mich allein gestellt war, mehr und mehr die Motivation abhanden kam. Die sich anbahnende Krise wurde verschärft durch meine Unfähigkeit als Folge meiner Gehemmtheit, zu Frauen Kontakte aufzunehmen und erste sexuelle Erfahrungen zu machen – im Gegensatz zu dem Freund, bei dessen Beziehung zur Freundin ich die Rolle eines Zaungastes einnahm. Eine ganz konkrete Ursache dafür, dass ich in der Folge im Studiums scheiterte und es von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht weiter betrieb, war jedoch, dass ich wegen meiner Unfähigkeit, vor einer Zuhörerschaft zu sprechen, nicht imstande war, mich zu einem der für das Diplom geforderten Seminarvorträge zu melden.

    Die Krise, in die ich im Alter von etwa fünfundzwanzig geraten war, hatte dazu geführt, dass ich eine psychoanalytische Behandlung begonnen hatte. Abgeschreckt durch die Aussicht auf ein unbefriedigendes Berufsleben als Physiker oder Ingenieur und mehr und mehr beherrscht von dem Gedanken, die falsche Wahl getroffen zu haben, hatte ich mein Physik-Studium faktisch "geschmissen", überzeugt, wenn ich in diese Richtung weiter ginge, meine wahre Erfüllung im Leben zu verfehlen. Je mehr mich in dieser Situation die drängende existenzielle Frage beschäftigte, was ich aus mir, aus meinem Leben, machen sollte, umso mehr steigerte sich in mir der Wunsch, Psychoanalytiker zu werden: die Psychoanalyse, der mein ganzes Interesse galt und mit der ich mich so intensiv beschäftigte, müsste auch beruflich mein Lebensinhalt werden.