Die Illusion des Schreibens, von der ich mich vereinnahmen lasse – reduzierbar auf die sprichwörtliche Kombination von Inspiration und (mehr nach innen gerichteter) Transpiration, oder ist es mehr als das? Nur wer strebend sich bemüht, den können wir (wer ist "wir"?) erlösen!? Ist es einfach ein Bedürfnis, das Unbehagen oder die Misstimmung – Ausdruck eines latenten Leidens an meinen inneren Brüchen –, verursacht durch eine Verwerfung in meinem Kopf, zu beseitigen bzw. zu lindern, indem ich in diese geistige Unordnung eine Struktur, eine Art von Logik, hineinbringe und etwas Ordentliches, etwa ein kompensatorisches Produkt schaffe?
Ich erinnere mich an eine kleine Ausstellung, die ich vor vielen Jahren gese- hen habe. Es wurden Auszüge aus einem mit Zeichnungen versehenen Tage- buch von Picasso gezeigt, das seine Gemütslage widerspiegelte, nachdem eine seiner Lebensgefährtinnen (war es Jacqueline oder Françoise?) ihn verlassen hatte. Da war anhand der nach ihrer Abreise gezeichneten Porträts der Ex-Geliebten zu verfolgen, wie sich das Gesicht von Tag zu Tag veränderte, mehr und mehr undeutlich und verschwommen wurde, sich verzerrte und schliesslich in der bekannten Picasso'schen Manier in gegeneinander verschobene Partien zerbrach. Eine Eintragung nach dem sich über Tage hinziehenden Ablösungs- prozess, die anscheinend den Tiefpunkt eines regressiven Selbst-Verlusts markierte, ist mir in Erinnerung geblieben: Maman, j'ai peur, j'ai faim, j'ai soif.
Das durch die Trennung, das Gefühl des Verlassenseins in Unordnung – bis hin zu einer
Fragmentierung, als Ver-Äusserung in der gebrochenen Darstellung der Ex- Geliebten widergespiegelt –
geratene Innere erhält durch das Tagebuch eine Form; das scheinbar Zerbrochene Gesicht (das auch als Verunstaltung
aufgefasst werden kann; man denkt an ein Spiegelbild in einem zerborstenen Spiegel) wird zu einem Gestaltungsprinzip,
einem Stilmittel. [Ich denke, diese Aussage bleibt zutreffend, auch wenn dieses Stilmittel von Picasso bereits lange
zuvor "erfunden" bzw. angewandt wurde und, abgesehen davon, bei diesen Gefühlsäusserungen eine gewisse
Portion selbstmitleidige Theatralik abzuziehen ist!]
Was an dieser Gebrochenen Wiederherstellung erscheint mir paradox? Dass sie nicht bereinigend
wirkt, dass sie eine Auflösung eines Konflikts durch künstlerische Überhöhung nur vorgibt,
wohingegen die verzerrende Gestaltung, in der man auch eine Verunstaltung sehen kann (Portraits in seinem
charakteristischen gebrochenen Stil, die einen an ein verzerrtes Abbild in einem zerborstenen
Spiegel denken lassen, hat Picasso, neben anderen, von mehreren seiner Geliebten gemalt), eine angedeutete
versteckte Wut zu enthalten scheint, Ausdruck einer Ambivalenz gegenüber dem, was als schön
empfunden wird (wie weibliche Schönheit) – jedoch auch ein Paradox?