Der Unterschied zu dem zu Papier Gebrachten (mein Analytiker kommentierte dies gelegentlich mit der Bemerkung: Haben Sie wieder etwas unter sich gelassen!?) besteht darin, dass ich etwas von dem, was sonst unter Verschluss ist, herausgelassen habe, indem ich es ins Netz stelle, und es damit – zumindest potentiell – fremden Augen preisgebe. Es liegt gewissermassen in einer elektronischen Schublade, die zwar abge- schlossen ist, die aber doch für jedermann zugänglich ist, der den Zugangscode, die Web-Adresse kennt. Solange nur ich sie kenne, habe nur ich Zugang zu dem in der "Schublade" abgelegten Text.

          War – bzw. ist – das Schreiben auch kathartisch?

    Katharsis – nach dem Duden-Fremdwörterbuch: Reinigung (ursprünglich kultische – äussere und innere – Reinigung). Die Katharer bezeichneten sich selbst also als "die Reinen". Aber das führt jetzt eher in die Irre. Freud meinte mit Katharsis Heilung, was bei ihm natürlich hiess: Heilung von seelischem Leiden, von Neurosen mittels seiner kathartischen Methode. Somit kann ich mir auf die oben gestellte Frage eine klare Antwort geben: Nein, geheilt hat mich das Schreiben nicht. Es hat eine gewisse Zeit eine Illusion erzeugt, ein Gefühl der Entlastung, wonach sich ein innerer Konflikt, seine Brisanz, der seelische Schmerz auf dem Papier "händeln", dass er sich durch ein Herumjonglieren mit Wörtern entschärfen bzw. bewältigen lässt.

    Sind also die Ratschläge oder auch Anregungen, die dem Schreiben eine positive Wirkung zuschreiben und mit denen die sich zahlreich bildenden Schreibgruppen werben, entbehrlich, obsolet, Versprechen mit Placebo-Effekt? Ich kann das nicht beur- teilen, da es sich hierbei um Gruppen-Erfahrungen handelt, mit Vorlesen der Texte, anschliessenden Diskussionen usw. – wozu ich nicht bereit bin –, und in denen daher notwendigerweise einer Gruppendynamik entsteht. Dieses Schreiben unterscheidet sich somit von dem meinem, das in der Isolation, im Verborgenen stattfindet, Voraussetzung dafür, dass ich mich unverstellter mit mir selbst auseinandersetzen kann. Als ich einmal eingeladen wurde, an einer solchen Schreibgruppe teilzunehmen, habe ich dies abge- lehnt, da ich vermutlich in einer solchen Gruppe von Befürchtungen und Hemmungen geplagt wäre, darauf bedacht, alles zu Persönliche – und damit einen Teil meiner selbst – zu unterdrücken.

    Aber das Schreiben hat zweifellos eine kompensatorische Funktion, es ist eine Aneignung, einige begreifen es als einen Weg zur Selbstfindung, aber ich meine, es ist mehr als das. In der Spiegelung eines Textes, der in einem Medium, auf einer Heft- oder Buchseite, oder, wie hier, im Internet konkrete Form annimmt, entsteht mit dem, was bis dahin nur im Kopf stattgefunden hat, eine neue Qualität, es bekommt eine neue Be- deutung – für mich ebenso wie zu seiner Zeit für Kafka.