Am besten schreiben Sie alles auf! Es hilft immer, den Kopf frei zu bekommen, wenn ich das, was mich bewegt, zu Papier
bringe.
Chief Johnson alias Kyra Sedgwick als The Closer
Schreiben hiess: Am Anfang war das Tagebuch. Hefte vollschreiben. Aber auch exzerpieren: Das Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch, wie schon gesagt, als kom- pensatorische geistige Betätigung, als Übung im Umgang mit der Sprache. Und dann das Briefeschreiben – ich war 25 und hatte L. kennengelernt, wir lebten aber vorläufig von einander getrennt, sie in Frankreich, ich in Berlin –, durch das wir über mehrere Monate, bis zu unserem Wiedersehen, die Beziehung aufrecht erhielten. Später, in der Zeit unseres Zusammenlebens, habe ich gemeinsam mit ihr an der bereits erwähnten Gorz-Übersetzung gearbeitet, wobei wir abwechselnd den Text in ein grossformatiges Heft schrieben. Das folgende Zitat hat sie mir als Widmung in ein Exemplar von Céline's Voyage au Bout de la Nuit geschrieben:
...Vous connaissez certainement l'énorme Fête des Fous de P. Brueghel ... Tout le problème n'est pas ailleurs pour moi... Je voudrais bien comprendre autre chose, je ne peux pas. Tout mon délire est dans ce sens et je n'ai guère d'autres délires. Je ne me réjouis que dans le grotesque aux confins de la mort. Tout le reste m'est vain.
Céline (Correspondances)
Illusion in Farben macht die Malerei aus; Schreiben erschafft Illusion mit Wörtern. Als Beispiel kann
Das Prinzip Hoffnung dienen, ein Werk der fast ins Un- ermessliche gesteigerten Illusion. In Bezug
auf den illusionären Impetus besteht meiner Meinung zwischen meinem Schreiben und dem eines Ernst Bloch kein
substanzieller Unterschied. Als Beleg für das Ausmass seiner Neigung zur Illusion lässt sich exem- plarisch
ein schwerwiegender Irrtum heranziehen, der ihm bei seinen Spekulationen – man sollte besser sagen, seinen
Visionen – über mögliche zukünftige Entwicklungen unterlaufen ist. So habe ich neulich noch
einmal nachgelesen, welche Erwartungen er an die friedliche Nutzung der Atomkraft knüpfte: er malte sich sogar
aus, dass es mit ihr möglich sein würde, das Eis der Antarktis zu schmelzen, damit sie besiedelt werden
könnte! Was das Schmelzen des Eises angeht, so scheint seine Vision in absehbarer Zukunft Wirklichkeit zu
werden, allerdings auf eine ganz andere Weise: es braucht dazu keine Atomkraft, vielmehr wird dies von der
Erderwärmung bewerkstelligt. Dabei hat er nur eines nicht bedacht: welche Folgen eine
dadurch verursachte Anhebung des Meeresspiegels für die Millionen von Menschen in den
Küstenregionen haben würde.
Und was ist zu der illusionären Vorgabe meines Schreibens zu sagen? Eines bedeutet es jedenfalls nicht
mehr: Hoffnung, ist doch mein Blick nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit gerichtet.
Die Zukunft ist die Gegenwart, die Illusion von der Präsenz eines Teils von mir in dem durch das Internet
geschaffenen fiktiven Raum.