Welche Rückwirkung? Selbst-Vergewisserung, dass die Hölle ihren Schrecken verloren hat? Bestätigung,
dass die Dämonen längst gebannt sind? Die alte Hölle, die alten
Dämonen: geht es noch um sie, stellt ihr Auftauchen im Alter (Ihr naht euch wieder, schwankende
Gestalten...) noch eine Bedrohung dar, müssen sie (...die früh sich einst dem trüben
Blick gezeigt) erneut gebannt werden? Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um zu einigen Begebenheiten, Dingen,
die mir zustiessen, eine neue Einstellung zu gewinnen? Oder nicht doch nur ein Aufsammeln von Fundstücken, um
aus diesen Fragmenten von Erlebtem die Illusion eines gelebten Lebens zusammen- zubasteln; ein Illusions-Puzzle mit
beruhigender Wirkung?
Jedes Leben ist – darüber muss man nicht sinnieren – einzigartig; ob es nun
von einem grösseren Kreis, von einer Öffentlichkeit wahrgenommen wird oder nicht. Offensichtlich ist aber
auch, dass in der Zeit von Internet und Facebook das subjektive Lebensgefühl durch das Mitteilen, das Posting und Sharing mit einer grösseren Zahl von Mitmenschen, eine Wertsteigerung
zu erfahren scheint. Und wie war es in früheren Zeiten? Das Leben des Gerichtspräsidenten
Schreber etwa, von ihm öffentlich gemacht in den Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken,
wird es dadurch noch einmal zu etwas Besonderem, umso mehr, als S.Freud sich in einem Aufsatz mit
den darin beschrie- benen "angewunderten" Halluzinationen Schrebers und der Beziehung, in der sie zu den vom Vater
an seinem Sohn durchgeführten Erziehungs-Experimenten standen, befasst hat?
Etwas an dem Fall Schreber hat mich, denke ich, deshalb angesprochen, weil ich mich selbst als Objekt väterlicher Erziehungsmassnahmen gefühlt habe: da mein Vater in meinen ersten vier Schuljahren als Klassenlehrer die Aufsicht über meine Schulbildung selbst in die Hand genommen hatte, fand ein grosser Teil meines Tagesablaufs unter seinen Augen und somit unter seinem kontrollierenden Blick statt. Eine Erinnerung habe ich an eine Bestrafung vor der Klasse – eine Anzahl von Schlägen auf das Hinterteil –, als Beleg defür, dass er seinen Sohn nicht anders behandelte als die anderen Kinder.
[Anm.: Der Zusammenhang zwischen den Wahnvorstellungen Schrebers und den vom Vater (dem Initiator der Schreber-Gärten) am Sohn im Kindesalter vorgenommenen Erprobung von Apparaturen, die er im Rahmen seiner Erziehungs-Methoden eigens entwickelt und in einer von ihm herausgegebenen, mit Abbildungen versehenen Broschüre beschrieben hat, ist wohl nicht von Freud, sondern später von einem anderen Autor (M.Schatzman) eingehend untersucht worden.]
Ein Paradox:
Es ist die mit dem Veräussern einhergehende bzw. die durch die Ver-Äusserung – hier durch
das Einstellen ins Internet – erst erzeugte Illusion, die ich mit diesen Überlegungen
im Sinn habe, von der ich mich zeitweise einnehmen lasse; denn ohne diese Selbst-Illusionierung der besonderen Art
– salopp ausgedrückt: mit dem beson- deren Kick – wäre dieses Schreiben
schwer vorstellbar.