An diese Gedanken, mein zwiespältiges Verhältnis zur Literatur und zur Schriftstellerei betreffend,
die Versuchung, die von der Vorstellung, ein Schriftsteller zu sein oder zu werden, ausging, wurde ich erinnert, als
ich neulich einer Lesung im Radio aus einem Text zuhörte, in dem die Autorin über ihre Lektüre von
Musils Mann ohne Eigenschaften reflektierte – ein Roman, den ich mit etwa vierundzwanzig
zwar nicht bis zum Ende – er hat weit über eintausend Seiten und, wenn ich mich richtig erinnere, kein
richtiges Ende – geschafft habe, doch immerhin bis zu der Episode von der inzestuösen Beziehung der
Geschwister Ulrich und Agathe.
Beim Anhören besagter Lesung mit der exzessiven Schilderung von Gesprächen an einer Festtags-Tafel, die sich
um Musil drehten, mit dem Hin-und-Her von Argumenten, Meinungsäusserungen, Betrachtungen, dazu ausschweifenden
Beobachtungen von Stereotypen und Eigenheiten der beteiligten Personen, stellte sich bei mir ein zwiespältiger
Eindruck des Konstruierten ein, ein Eindruck, dass die Autorin sich für die Charakterisierung der verschiedenen
Personen der Handlung aus ihrem Umfeld bedient hat und sie, die eigenen Reflexionen über Musil dergestalt
ausbreitend, unterschiedliche Gesichtspunkte, Eindrücke und Einwände auf die einzelnen an dem
Tischgespräch Beteiligten verteilt.
Bei dieser Gelegenheit kam mir auch die Erinnerung an eine dreissig Jahre zurück- liegende Begebenheit:
Freunde erzählten aus ihrem Bekanntenkreis, zu dem auch die junge Autorin eines recht erfolgreichen Romans mit
dem Titel Katzengold gehörte, dass sich einige der Freunde und Bekannten darin wiederzuerkennen
glaubten, worüber sie not amused waren. Das Verwenden von Beobachtungen, die ein Autor im
Familien- und Bekanntenkreis gemacht hat, ist ja spätestens seit Thomas Manns Buddenbrooks
oder dem Zauberberg (man denke an Mynheer Peeperkorn, in dem man, zumindest was
einige äusserliche Merkmale betriff, ein Portrait Gerhart Hauptmanns zu erkennen meinte) eine bekannte
Methode.
Meine Literaturbesessenheit, verbunden mit Namen wie Kafka, Musil, Thomas und Heinrich Mann, Camus und Sartre,
später auch Flaubert, erstreckte sich immer auch auf die Biografien der betreffenden Autoren.
So besorgte ich mir nach Möglichkeit Biografien, Briefe, sowie alle Sekundärliteratur, die ich bekommen
konnte, Veröffent- lichungen in Zeitschriften wie der Psyche – vor allem Kafka
betreffend –, soweit sie mir in der Berliner Amerika-Gedenkbibliothek zugänglich waren (und von denen
ich mir die gebundenen früheren Jahrgänge aus dem Magazin kommen lassen konnte); dann aber auch über
bzw. von Sartre: seine Tagebücher, die Carnets de la drôle de guerre etwa, sowie seine
Flaubert-Studie Der Idiot der Familie.
Bei einer Reise gemeinsam mit K., der damaligen Freundin, durch das Elsass wandelten wir, als wir durch Brumath kamen, auf seinen Spuren und denen von Simone de Beauvoir – d.h. genau genommen war ich es in erster Linie, der auf ihren Spuren wandelte; in diesem kleinen Ort mit seinem Café de la Poste, wo Sartre während des "Sitzkrieges", des "sonderbaren Krieges" 1939/40 statio- niert war – Sartre beschrieb es in seinen Carnets de la drôle de guerre –, hatten sie sich nämlich heimlich (wenn ich mich recht entsinne, da das Elsass Sperrgebiet war, aus dem die Zivilbevölkerung evakuiert worden war) getroffen. Bei einer anderen Reise einige Jahre zuvor durch das damals noch existierende Jugoslawien – ich hatte einige Werke von Heimito von Doderer gelesen; Die Strudelhofstiege sowie Die Wasserfälle von Slunj – kam ich auch durch besagten Ort und suchte dort vergeblich nach den im Titel seines Romans genannten Wasserfällen; sie befinden sich vermutlich irgendwo in der näheren Umgebung oder aber sind eine Erfindung des Autors.