Von ihm wissen wir, dass er seinem Geschriebenen gegenüber häufig ein ambi- valentes Verhältnis gehabt hat; einiges fand er später "widerlich", strich ganze Passagen wieder durch, und wiederholt bezeichnet er etwas als "falsch" oder "lügenhaft", Beleg dafür, dass er sein wahres Ich verfehlt zu haben meint. Dem gegenüber steht, beispiels- weise bei der Arbeit an einem Roman, der zufriedene Blick auf das Geschaffene bzw. das Geschaffte, das sich in der anwachsenden Anzahl vollgeschriebene Hefte konkretisierte.

    Hier passt es, auf die kompensatorische Funktion meiner dichterischen Ambition, des Verfassens von Limericks (strenggenommen waren es keine Limericks, sondern Limerick-ähnliche Gedichte), einzugehen. Es begann in einer Phase der Entleerung und Erstarrung, die sich in einer Kommunikationsunfähigkeit bis hin zu einer Störung meiner Sprechfunktion äusserte – ich war nur in der Lage, kurze Sätze stammelnd und mit gepresster Stimme hervorzubringen – und ich von dem Gedanken geplagt wurde, dass ich von meiner Umgebung für leicht schwachsinnig, für geistig beschränkt gehalten werden könnte. Dieses Gefühl der Erniedrigung als Aussenseiter trieb mich dazu an, etwas hervorzubringen, das ich in meiner Überschätzung für etwas Aussergewöhnliches hielt, etwas, zu dem mich eine besondere Fähigkeit, eine Begabung, die ich den anderen voraus hatte, befähigte: dem Verfassen von Gedichten. (Ausserdem entsprach es einer mir sehr vertrauten Reaktion: schon in der Schulzeit konnte ich meiner Fähigkeiten am ehesten bei schriftlichen Arbeiten unter Beweis stellen). Es entschädigte mich ein wenig für meine Erfahrungen des Versagens, wenn ich bei passenden und weniger passenden Gelegenheiten diese "Limericks" zum Besten geben konnte und positive Reaktionen, sprich: Anerkennung dafür erhielt.

    Das Schreiben – ein Illusions-Projekt. Zum Verständnis: hier habe ich, im Gegensatz zu dem schon erwähnten Limerick-Projekt (Titel: Aus der Limerick-Factory) ein anderes Schreiben im Auge. Dieses ist eine Form der Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, mit ihm geht ein Eintauchen in die Vergangenheit, ein Wiederbeleben von Erinnerungen einher; das Niederschreiben als eine Ver-Äusserung mit einer gleichzeitigen Rückwirkung nach innen, wenn im Idealfall etwas Unbewältigtes auf- gearbeitet werden kann.

_  Das Wiederauftauchen von Kindheitserinnerungen kündigte sich vor etwa vier Jahren an, als eine Erinnerung sich nach über fünfzig Jahren ganz plötz- lich wieder einstellte: die Erinnerung an eine körperliche Züchtigung – ich muss etwa sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein – durch den Vater. Es war im Schlafzimmer der Eltern, wahrscheinlich an einem Sonntagmorgen. Wir, mein jüngerer Bruder und ich, hatten die Erlaubnis erhalten, zu ihnen ins Bett zu kommen, und durften dann zwischen ihnen, auf der von den Matratzen gebildeten Ritze, liegen oder sitzen (wohl kaum unter die Bettdecke kriechen; das kann ich mir schwer vorstellen). Was dann die Harmonie gestört hat, wofür der Vater mich verantwortlich machte, vielleicht eine Kabbelei zwischen mir und dem Bruder, oder ob ich mit einer ungehörigen Bemerkung oder Handlung seinen Zorn erregt hatte, weiss ich nicht mehr – obwohl es sicher wichtig wäre, die Art meiner "Verfehlung" zu kennen – jedenfalls drosch er in seinem Jähzorn mit aller Kraft auf mich ein, wobei seine Schläge, da ich mich auf die Seite gelegt und den Kopf auf die Matratze gepresst hatte, mein Ohr trafen.