Die Arbeit an dieser Übersetzung war für viele Wochen meine Nebenbeschäftigung. Gleichzeitig war es die Zeit meiner Beziehung zu S., die damals ein Zimmer in einem WG-Haus hatte. Wenn ich ein Wochenende bei ihr in diesem Haus verbrachte, zog ich mich häufig ein paar Stunden in eine kleine Dachkammer zurück, um an der Übersetzung zu arbeiten; dabei benutzte ich ihre Schreibmaschine. Durch sie war ich, indem sie für mich einen Teil von S. (ein pars pro toto gewissermassen) repräsentierte, in permanenter (imaginärer) Verbindung zu S. und gleichzeitig, indem ich mich in meinem Kämmerlein als fiktiver Mitbewohner und damit der WG zugehörig [contained] fühlte, auf einer halb-bewussten psychischen Ebene mit dem Mütterlich-Weiblichen; wenn man so will eine von der Art von Männerphantasien, wie sie von K.Theweleit in seinem Buch dieses Titels beschrieben und illustriert worden sind.

    Gleichzeitig war auch der Analytiker immer präsent: mit meiner "literarischen" Betätigung, die mit dem Physik- und Technik-Kram nichts zu tun hatte, befand ich mich in einer gewissen Konkurrenz zu ihm und wollte zudem beweisen, dass ich mehr war als ein popeliger Bastler und Tüftler. Mit meinen weit über mein Fachgebiet hinaus- gehenden geistigen Interessen, insbesondere für die Literatur und die Geschichte – ich hatte mich schon früh durch exzessives Lesen aus dem realen Leben "davongestohlen" –, wollte ich meiner Selbst-Einschätzung und somit dem Bild von dem, der ich sein wollte, entsprechen. Mit dem zeitweisen Rückzug in die Abgeschiedenheit des Kämmerchens beherzigte ich darüber hinaus einen der Ratschläge, die Dr.A. mir im Hinblick auf meine Beziehung zu S. gab, nämlich nicht zu eng aneinander zu kleben (oder wie er sich ausdrückte: keinen Klumpatsch zu bilden).

    Weitere Übersetzungen – die Beziehung war nach zwei Jahren zu Ende gegangen – folgten: ein Roman, La Dentellière (Die Spitzenklöpplerin), zu der ich durch eine Verfilmung angeregt worden war; der Film mit der noch jungen Isabelle Huppert, in dem mich einiges an die gescheiterte Beziehung zu S. erinnerte, wurde kürzlich im Fernsehen, bei ARTE war es wohl, wieder gezeigt. Dann kamen andere Texte hinzu: ich versuchte mich, angeregt durch Aufsätze über verschiedene Schriftsteller, H.v.Kleist, Goethe, Balzac, Flaubert, Th.Mann u.a., die in einem Sammelband Dichtung und Psychoanalyse sowie in einem von A.Mitscherlich herausgegebenen Band Psycho- Pathographien enthalten waren, an Essays. Ein Autor, für den ich mich seit meiner Schulzeit besonders interessierte, war Kafka; in einem Versuch über seine Erzählung Das Urteil, an der ich mir bereits im Deutsch-Unterricht "die Zähne ausgebissen" hatte, stellte ich, nun mit seitdem gewonnenen Kenntnissen über den Autor, einen biogra- fischen Bezug zum Tod zweier Brüder im Kindesalter – der Name des einen war Georg, das ist, sicher nicht zufällig, auch der Name der Hauptfigur im Urteil, und im Gregor der Verwandlung, die unmittelbar danach entstand, lässt sich eine Variation (durch Umstellung der Buchstaben und Hinzufügen eines r) erkennen – in der frühen Kindheit Kafkas her.